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Die neue Gesetzeslage im Rehabilitierungsrecht für DDR-Unrecht (vgl. Blogartikel „Neue Rehabilitierungsgesetze für DDR-Unrecht in Kraft“ vom 28.11.2019) führt mittlerweile auch zu einer veränderten Rechtsprechung. Das Oberlandesgericht Rostock hatte mit Beschluss vom 12.2.2020, Az. 22 Ws_Reha 2/20, über einen solchen Fall zu entschieden.
Das betroffene ehemalige Heimkind war in der DDR in das Durchgangsheim Schwerin und in den Jugendwerkhof „Hübner-Wesolek“ in Bernburg eingewiesen worden und hatte diesbezüglich seine Rehabilitierung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz beantragt. Das Landgericht Schwerin lehnte den Antrag ab und verweigerte selbst die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Das Oberlandesgericht hatte über die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin zu entscheiden und kam zu dem Ergebnis, dass die ablehnende Entscheidung des Landgerichts nach dem damals geltenden (alten) Recht rechtmäßig gewesen sei, nunmehr aber nach der Gesetzesänderung eine Rehabilitierung zu erfolgen habe. Das Oberlandesgericht hob daher die Entscheidung des Landgerichts Schwerin auf und rehabilitierte die Antragstellerin vollständig.
Nach der neuen Rechtslage gilt eine Regel nach der vermutet wird, dass Einweisungen in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare Einrichtung der politischen Verfolgung oder sachfremden Zwecken dienten. Dem ehemaligen Heimkind eines Spezialheims wird damit die Beweisführung erleichtert. Im vorliegenden Fall hatte die Jugendhilfekommission, die Einweisung u. a. mit angeblichen Erziehungsschwierigkeiten der betroffenen Person begründet. Das reicht aber nicht aus, um die neue Regelvermutung zu entkräften, zumal gegen die betroffene Person wegen der Nichtanzeige einer geplanten Republikflucht ermittelt worden war. Das Strafverfahren gegen die betroffene Person war von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, weil die Jugendhilfe Maßnahmen gegen die Betroffene eingeleitet hatte. Eine politische Motivation der Heimeinweisung lag mithin nahe.
Das Oberlandesgericht hat in dem Beschluss zudem klargestellt, dass unter die neu eingeführte Vermutungsregel auch Durchgangsheime und Jugendwerkhöfe fallen. Prozesskostenhilfe wurde nachträglich für beide Instanzen bewilligt.

Fundstelle: Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 12.02.2020, Az. 22 Ws_Reha 2/20

Die vom Bundestag am 24.10.2019 beschlossenen Gesetzesänderungen der Rehabilitierungsgesetze (vgl. Blogartikel vom 27.10.2019: Änderungen in den Rehabilitierungsgesetzen beschlossen), wurden mittlerweile vom Bundespräsidenten ausgefertigt und am 28.11.2019 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Die Gesetzesänderungen traten daher am 29.11.2019 in Kraft.

Fundstelle: Bundesgesetzesblatt, Jahrgang 2019 Teil I Nr. 42 (BGBl. 2019 I 1752)

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 05.11.2019, Az. 1 BvL 7/16, entschieden, dass die derzeitige Sanktionsregelung für Hartz-IV-Bezieher teilweise verfassungswidrig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der Staat verpflichtet ist, das menschenwürdige Existenzminimum jedes Menschen sicherzustellen und dass die eigenständige Existenzsicherung des Menschen ist nicht Bedingung dafür sein kann, dass ihm Menschenwürde zukommt.

Das Bundesverfassungsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Sanktionsregelungen teilweise zu starr sind, weil sie außergewöhnliche Härten nicht ausreichend berücksichtigen und einen Sanktionszeitraum von drei Monaten vorgeben, ohne dass hiervon abgewichen werden kann. Hier hat der Gesetzgeber die Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums überschritten.

Die Sanktionierung einer wiederholten Mitwirkungsverpflichtung in Höhe von 60 % des Regelbedarfs ist zudem verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die Minderung des Hartz-IV-Satzes in der Höhe von 60 % ist unzumutbar, weil das grundrechtlich gewährleistete Existenzminimum nicht mehr gewährleistet wird und starr für drei Monate angeordnet wird.

Konsequenterweise hat das Bundesverfassungsgericht zudem entschieden, dass der vollständige Wegfall des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) wegen einer Pflichtverletzung verfassungswidrig ist. Nach dieser Entscheidung dürfen derzeit also keine Sanktionen über 30 % des Regelsatzes verhängt werden. Von einer Sanktionierung kann abgesehen werden, wenn dies zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Die Behörde kann zudem die Leistungen wieder erbringen, sobald die Mitwirkungspflicht erfüllt wird oder der Leistungsberechtigte sich ernsthaft und nachhaltig bereit erklärt, den Pflichten nachzukommen.

Fundstelle: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 74/2019, Urteil vom 05.11.2019, Az. 1 BvL 7/16

Der Bundestag hat am 24.10.2019 in dritter Lesung umfangreiche Änderungen an den Rehabilitierungsgesetzen für DDR-Unrecht verabschiedet.

Danach wird eine Vermutung aufgestellt, dass die Unterbringungsanordnung in einem Kinderheim rechtsstaatswidrig war, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare der Zwangsumerziehung dienende Einrichtung stattfand. Dieselbe Vermutung gilt, wenn gleichzeitig mit der Unterbringung der Kinder rechtsstaatswidrige, freiheitsentziehende  Maßnahmen  gegen  die  Eltern oder Elternteile vollstreckt wurden. Es muss ein Sach- und Zeitzusammenhang bestehen.

Die Opferrente wird von 300,00 € monatlich auf 330,00 € erhöht. Die dafür notwendige Haftdauer wird von 180 Tagen auf 90 Tage halbiert! Verfolgte nach dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz erhalten statt 214,00 € monatlich nunmehr 240,00 € (bzw. für Rentner 180,00 € statt wie bisher 153,00 €).

Heimkinder, die wegen der rechtsstaatswidrigen Haft der Eltern ins Heim gekommen sind und nicht rehabilitiert wurden, weil sie nicht selbst verfolgt wurden, bekommen trotz einer negativen Rehabilitierungsentscheidung einen eigenen Anspruch auf die Opferrente (wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen). Sie können nunmehr also direkt die Opferrente beantragen.

Die Antragsfristen werden gestrichen.

Für festgestellte Zersetzungsmaßnahmen, für die bisher keine Ausgleichsleistungen gezahlt wurden, wird eine einmalige Zahlung in Höhe von 1.500,00 € eingeführt.

Fundstelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 24.10.2019

Die Bundesregierung hat -wie bereits berichtet- einen Gesetzesentwurf  zur Änderung der Rehabilitierungsgesetze für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR beschlossen. Danach sollen die Fristen zur Antragsstellung gestrichen und die Beweisführung erleichtert werden (vgl. Blogartikel vom 17.05.2019: „Bundesregierung will Fristen für Rehabilitierungsanträge für DDR-Unrecht streichen“). Aber was hat die Bundesregierung genau geplant? Die Antragsfristen sollen gestrichen werden, derzeit gilt eine Frist zur Antragstellung bis zum 31.12.2019. Das betrifft sowohl Anträge zur strafrechtlichen als auch zur beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung.

Weiterhin soll für den Fall, dass das Gericht nicht feststellen kann, dass die Anordnung eine Heimunterbringung der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, das Gericht diese Tatsache zugunsten des jeweiligen Antragstellers für festgestellt erachten können. In § 10 StrRehaG soll der folgende dritte Absatz eingefügt werden:

„Kann die Tatsache, dass eine Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, nicht festgestellt werden,


1. infolge der Lage, in die der Antragsteller durch die Unterbringung geraten ist,
oder
2. infolge des Umstandes, dass

a) Urkunden verloren gegangen sind,
b) Zeugen verstorben oder unauffindbar sind oder
c) die Vernehmung von Zeugen mit Schwierigkeiten verbunden ist, die in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Aussage stehen,

so kann das Gericht diese Tatsache unter Würdigung aller Umstände zugunsten des Antragstellers für festgestellt erachten.“

Es stellt in den Rehabilitierungsverfahren ein häufiges Problem dar, dass Unterlagen wie z. B. die ursprüngliche Jugendhilfeakte mittlerweile vernichtet wurden oder nicht mehr auffindbar sind. Teilweise werden von den Behörden sogar jetzt noch Unterlagen vernichtet („kassiert“), weil die Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien und nicht in die entsprechende Archive überführt. Diese Änderung könnte daher vielen Betroffenen erheblich weiter helfen, wenn sie denn tatsächlich Gesetzeskraft erlangt.

Für Kinder von politisch Verfolgten Eltern, die ins Heim eingewiesen wurden, bleibt die Ausgangslage für eine Rehabilitierung schwierig (vgl. auch Blogartikel vom 17.06.2018: „War eine DDR-Heimeinweisung eines Kindes rechtsstaatswidrig bei politischer Verfolgung der Eltern?“). Für ehemalige Heimkinder von politisch verfolgten Eltern soll eine neue Regelung in § 18 StrRehaG eingeführt werden, damit die ehemaligen Heimkinder trotz negativer Rehabilitierungsentscheidung Unterstützungsleistungen von der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge erhalten können. Eine selbstständige Rehabilitierung ist für die Betroffenen in dem Entwurf der Bundesregierung (anders als noch im Entwurf des Bundesrats vom 03.11.2017, BR-Drs. 642/17) nicht vorgesehen. Eine Gleichstellung von Kindern, die wegen der politischen Verfolgung der Eltern eine Heimunterbringung in der DDR erleiden mussten, mit anderen rehabilitierten Heimkindern ist also bedauerlicher Weise nicht vorgesehen. Die ehemaligen Heimkinder von politisch verfolgten Eltern hätten danach keinen Anspruch auf eine eigene Rehabilitierung. Sie könnten aber immerhin Unterstützungsleistungen bei der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge beantragen. Die rechtliche Position von ins Heim eingewiesenen Kindern politisch verfolgter Eltern bliebe also schwierig.

Weitere bekannte Schwachstellen der Rehabilitierungsgesetze werden dagegen von der Bundesregierung überhaupt nicht in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Der Bundesrat hat in einer Entschließung vom 19.10.2018 beispielsweise darauf hingewiesen, dass u. a. keine Ausgleichsleistungen für Opfer von Zersetzungsmaßnahmen vorgesehen sind, dass für verfolgte Schüler kaum Leistungen beanspruchen können, Opfer von Zwangsaussiedlungsmaßnahmen nicht ausreichend entschädigt werden,  die Verfolgungszeit für eine berufliche Benachteiligung mit mindestens drei Jahren viel zu lang angesetzt ist. Es bleibt nur zu hoffen, dass im Gesetzgebungsverfahren noch entsprechende Verbesserungen eingefügt werden können.

Fundstellen: Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Informationsseite zum Gesetzgebungsvorhaben vom 15.05.2019; Bundesrat, Gesetzesentwurf vom 03.11.2017, BR-Drs. 642/17; Entschließung vom 19.10.2019, BR-Drs. 316/18

Nach der Pressemitteilung der Bundesregierung vom 15.05.2019 sollen die Fristen für Rehabilitierungsanträge für DDR-Unrecht gestrichen werden. Bislang gilt als letzter möglicher Termin für die Antragstellung der 31.12.2019.

Die Beweisführung bezüglich der Rehabilitierung von DDR-Heimkindern soll erleichtert werden. Es soll insbesondere für ehemalige Heimkinder, die wegen der politischen Verfolgung ihrer Eltern in ein Heim, Spezialheim oder Jugendwerkhof eingewiesen wurden, eine einfachere Regelung zur Rehabilitierung geschaffen werden.

Bereits im Koalitionsvertrag war vereinbart worden, dass die Antragsfristen „im Einvernehmen mit den Bundesländern“ aufgehoben werden sollen und geprüft werden soll, wie die bestehenden rechtlichen Grundlagen der Entschädigung für die Heimkinder verbessert werden können. Es bleibt daher abzuwarten, wie die neue konkrete rechtliche Regelung ausgestaltet sein wird. Bislang hat die Bundesregierung nur einen Gesetzentwurf beschlossen, noch gilt die alte Rechtslage.

Fundstelle: Bundesregierung, Pressemitteilung „Mehr Unterstützung für DDR-Opfer“ vom 15.05.2019

Immer wieder wird kritisiert, dass die Rechtsprechung in den Bundesländern bezüglich der Rehabilitierung von DDR-Unrecht relativ stark voneinander abweicht. Was in einem Bundesland als rechtsstaatswidrig rehabilitiert wird, wird von Gerichten in anderen Bundesländern gehalten. Gerade was die Rehabilitierung von ehemaligen Heimkindern angeht, bestehen in der Rechtsprechung größere Divergenzen (vgl. „Rechtsstaatswidrigkeit einer Heimeinweisung in ein „Normalkinderheim“ der DDR“ vom 17.09.2018).

Das Kammergericht in Berlin vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei Heimunterbringungen in der DDR nur die Einweisungsverfügung als solche, nicht hingegen deren Folgen, also die konkreten Lebensbedingungen in dem jeweiligen Heim, zu prüfen sind. Der gegenläufigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt in Naumburg schließt sich das Kammergericht ausdrücklich nicht an. Seit einigen Jahren hebt das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt Einweisungen von Kindern und Jugendlichen in Spezialheime und Jugendwerkhöfe aufgrund des dort verfolgten Zwecks der Umerziehung in der Regel als unverhältnismäßig auf.

Seine restriktive Rechtsprechung muss das Kammergericht nun aber überprüfen. Denn der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat mit Beschluss vom 16.01.2019, Az. 145/17, eine Entscheidung des Kammergerichts zu DDR-Heimeinweisungen aufgehoben. Das Verfassungsgericht sah das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 15 Abs. 4 Satz 1 der Berliner Verfassung dadurch verletzt, dass  das Kammergericht nicht ausreichend aufgeklärt hat, ob und in welchem Umfang es in den Spezialkinderheimen der DDR systematisch zu menschenrechtsverletzenden Übergriffen gekommen ist und was Ursache dafür war. Das Gericht ist seiner Pflicht zur Amtsermittlung nicht nachgekommen, weil es sich mit dem aktuellen Forschungsstand zu den Lebensumständen in den Spezialheimen der DDR nicht nachvollziehbar auseinandersetzt hat. Der Verfassungsgerichtshof führt wörtlich in dem Beschluss vom 16.01.2019 aus:

„Gegebenenfalls hätte es nahegelegen, mithilfe eines Sachverständigen weiter zu ermitteln, ob und in welchem Umfang es in den Spezialheimen […] systematisch zu menschenrechtsverletzenden Übergriffen gekommen ist und was Ursache dafür war.“

Eine Änderung der Berliner Rechtsprechung zu den Einweisungen in Spezialheime und Jugendwerkhöfe erscheint daher möglich, die nächste Entscheidung des Kammergerichts wird es zeigen.

Fundstelle: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 16.01.2019, Az. 145/17

Wie bereits mehrfach berichtet, begegnet die Rehabilitierung von Heimkindern in der DDR oft rechtlichen Schwierigkeiten (vgl. „War eine DDR-Heimeinweisung eines Kindes rechtsstaatswidrig bei politischer Verfolgung der Eltern?“ vom 17.06.2018, „Eine der politischen Repression dienende Heimeinweisung ist rechtsstaatswidrig“ vom 12.11.2017). In der DDR gab es im Wesentlichen drei Typen von Heimen sogenannte Normalkinderheime, Spezialheime und Jugendwerkhöfe. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt in Naumburg war die Einweisung in ein Spezialheim oder in einen Jugendwerkhof im Regelfall rechtsstaatswidrig, wenn der Eingewiesene nicht zuvor durch massive Straffälligkeit aufgefallen ist oder sich gemeingefährlich verhalten hat. Die Einweisung ist dann als unverhältnismäßig zu beurteilen, sie war nicht mehr am Kindswohl orientiert, sondern diente der Umerziehung (vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 26. Oktober 2017, Az. 2 Ws (Reh) 36/17). Das Oberlandesgericht führt in dem Beschluss vom 26.10.2017 aus, dass es aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse überzeugt sei, dass die Erziehung in Spezialheimen der Jugendhilfe maßgeblich darauf ausgerichtet war, die Persönlichkeit der Betroffenen zu brechen, um aus ihnen Persönlichkeiten nach den ideologischen Vorstellungen des SED-Regimes zu formen. Zu diesem Zwecke wurden schwere Menschenrechtsverletzungen planmäßig eingesetzt, weshalb regelmäßig eine Rechtsstaatswidrigkeit bei einer Einweisung in ein Spezialheim (oder einen Jugendwerkhof) angenommen wird.
Andere Rehabilitierungsgerichte sehen diese Rechtsprechung kritisch und prüfen auch bei Einweisungen in einen Jugendwerkhof vor allem die in dem Einweisungsbeschluss wiedergegebenen Gründe auf ihre Rechtsstaatswidrigkeit. Die in den Heimen herrschenden Umstände treten dann bei der Prüfung dagegen in den Hintergrund. Das Brandenburgische Oberlandesgericht prüft dagegen -ähnlich wie das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt- im Rahmen einer Einzelfallprüfung auch, ob die Einweisung gegen das Übermaßverbot wegen der in dem jeweiligen Heim herrschenden Umstände verstieß.
In dem von mir für das ehemalige Heimkind geführten Rehabilitierungsverfahren hatte das Brandenburgische Oberlandesgericht über die Einweisung in ein sogenanntes „Normalkinderheim“ zu entscheiden. Das Oberlandesgericht kam auch in diesem Verfahren zu dem Ergebnis, dass die Einweisung als rechtsstaatwidrig zu beurteilen war, weil ein grobes Missverhältnis zwischen Anlass für die Unterbringungsentscheidung und der angeordneten Rechtsfolge vorlag. Die Einweisung des Jugendhilfeausschusses wurde darauf gestützt, dass bezüglich der häuslichen Ordnung und Sauberkeit in der Familie Defizite bestanden haben sollen und beim Bruder erste Verwahrlosungserscheinungen aufgetreten sein sollen. Die Kinder seien schmutzig und ohne die notwendigen Arbeitsmaterialien in der Schule erschienen. Sie hätten eine ungenügende Arbeitseinstellung gezeigt, keine Hausaufgaben angefertigt und zeitweilig den Unterricht gebummelt. Die Eltern seien keiner geregelten Arbeit nachgegangen, weswegen es zu finanzielle Problemen gekommen sei. Die Betroffene habe sich angeblich durch Lügen und Diebstähle isoliert, ihr Freundeskreis habe sich zudem aus Kindern sozialgefährdeter Familien zusammengesetzt.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat richtiger Weise festgestellt, dass das keine tragfähige Begründung für eine gravierende soziale Gefährdung darstelle, die einen plausiblen Anlass für die Herauslösung der Betroffenen aus dem Elternhaus rechtfertigen könnte. Der Beschluss stehe vielmehr im Einklang mit der in der DDR herrschenden Rechtspraxis, ein anderes Leben als das eines fleißigen und staatsbejahenden Schülers als asozial zu stigmatisieren. Die Heimunterbringung sollte auch nach dem DDR-Recht immer das letzte Mittel sein, was hier erkennbar nicht der Fall war. Die Einweisung stellt daher auch in Anbetracht der damit verbundenen Konsequenzen einen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar und wurde daher zutreffend als rechtsstaatswidrig aufgehoben.

Fundstellen: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21.06.2018, Az. 2 Ws Reha 14/17

Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 2015 entschieden, dass die Heimeinweisung eines Kindes nicht schon deshalb rechtsstaatswidrig war, wenn die Eltern aufgrund politischer Verfolgung inhaftiert wurden und nur aus diesem Grund ein Kind in einem Heim untergebracht wird (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.03.2015, Az. 4 StR 525/13). In einem solchen Fall ist die Einweisung nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs lediglich die Folge einer Inhaftierung, diente aber selbst nicht dazu, das Kind politisch zu verfolgen.

Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war ganz erheblicher Kritik ausgesetzt, einige Bundesländer haben bereits eine Gesetzesinitiative gestartet, das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz entsprechend zu ändern, dass auch Kinder die aufgrund der politischen Inhaftierung der Eltern in ein Heim eingewiesen wurden, selbst zu rehabilitieren sind (vgl. Bundesrat, Drucksache 642/17 vom 03.11.2017). Den Kindern stünden in einem solchen Fall grundsätzlich auch die Haftentschädigung und weitere Leistungen wie die Opferrente zu (vgl. auch den Blogeintrag „Eine der politischen Repression dienende Heimeinweisung ist rechtsstaatswidrig“ vom 12.11.2017).

Allerdings kann auch nach der derzeitigen Rechtslage ein ehemaliges Heimkind wegen der politischen Verfolgung eines Elternteils rehabilitiert werden, wenn es dem ehemaligen Heimkind gelingt den Nachweis zu erbringen, dass die Heimeinweisung als politisches Druckmittel gegen die Eltern eingesetzt wurde. In einem solchen Fall ist auch die Heimeinweisung des Kindes für rechtsstaatswidrig zu erklären, denn diese war nicht von fürsorglichen Motiven sondern (auch) von politischen getragen. Der Bundesgerichtshof hatte in dem oben genannten Beschluss auch ausdrücklich festgestellt, dass es unerheblich sei, ob sich der mit der Heimeinweisung verfolgte Verfolgungszweck gegen die unterzubringende Person selbst oder Dritte richtete. Auch die zur politischen Disziplinierung von Eltern oder Verwandten angeordnete Heimunterbringung stellt sich als politische Verfolgung im Sinne des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes dar (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.03.2015, Az. 4 StR 525/13).

Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat in einem von mir für den Betroffenen geführten Verfahren daher auch entschieden, dass der Heimaufenthalt meines Mandanten ab dem nachgewiesenen Zeitpunkt der politischen Verfolgung der Mutter für rechtsstaatswidrig zu erklären ist (vgl. Brandenburgisches OberlandesgerichtBeschluss vom 07.11.2017, Az. 2 Ws (Reha) 13/16).

Der Antragsteller war bereits kurz nach der Geburt in ein Heim gekommen. Seine Mutter war wenig später nach Westdeutschland gegangen, nachdem sie wegen gewerbsmäßiger Unzucht, Einfuhr von Zahlungsmitteln und Landstreicherei verurteilt worden war. Der Antragsteller wurde in ein Heim eingewiesen, die Jugendhilfe übernahm die Vormundschaft. Er verbachte seine Kindheit in unterschiedlichen Heimen sowie zeitweilig in einer Bezirksnervenklinik.

Der Versuch der Mutter im Jahr 1960 wieder in die DDR zu gelangen, scheiterte daran, dass die Mutter von der DDR nicht wieder aufgenommen und stattdessen in den Westen ausgewiesen wurde. Das Oberlandesgericht sah es trotz einiger, darauf hindeutender Indizien als nicht ausreichend erwiesen an, dass die Mutter wegen ihrer fehlenden Bereitschaft, mit der Staatssicherheit zu kooperieren, ausgewiesen wurde. Das Oberlandesgericht war nicht überzeugt davon, dass bereits zu diesem Zeitpunkt der in einem Heim befindliche Sohn als Druckmittel eingesetzt wurde.

Allerdings ließ sich in dem Rehabilitierungsverfahren nachweisen, dass der betroffene Sohn bei dem erneuten Einreiseversuch der Mutter im Jahr 1968 sehr wohl als Druckmittel der Stasi gegen die Mutter eingesetzt wurde, diese zu einer Mitarbeit bei der Stasi zu nötigen. Die Mutter ging dieses Mal darauf ein, für die Stasi zu arbeiten. Sie erhoffte sich damit, dass ihr die DDR die Möglichkeit einräume, wieder bei ihrem Sohn zu sein und für diesen in der Zukunft sorgen zu können. Die Mutter willigte damals ein, zunächst in Westberlin für die Stasi als Spion zu arbeiten. Allerdings wurde sie dort von der Westberliner Polizei unter dem Verdacht des Führens landesverräterischer Beziehungen kurzzeitig festgenommen und verhört. In dem Verhör der Westberliner Polizei gestand sie, dass sie für die Stasi tätig war und wurde im Anschluss aus der Untersuchungshaft unter Auflagen entlassen. Sofort flüchtete sie zurück in die DDR und wurde in einem Aufnahmelager untergebracht. Jetzt konnte sie endlich in der Nähe ihres Sohnes sein, den sie in der Bezirksnervenklinik besuchen konnte. Das Glück des Wiedersehens währte allerdings nur kurz, als die Stasi herausfand, dass die Mutter nicht nur festgenommen und verhört worden war, sondern auch gegenüber der (West-)Berliner Polizei gestanden hatte, für die Stasi zu arbeiten. Diese Dekonspiration gegenüber dem Klassenfeind wurde der Mutter des Betroffenen nicht verziehen. Aufgrund dieses von der Stasi als Verrat gewerteten Verhaltens der Mutter wurde diese umgehend aus der DDR wieder in den Westen abgeschoben und der betroffene Sohn musste bis zu seiner Volljährigkeit im Heim bleiben.

Das Oberlandesgericht hat in dem Beschluss vom 07.11.2017 richtiger Weise festgestellt, dass das Fortdauern der Heimunterbringung des Sohnes seit der Rückkehr der Mutter in die DDR im Jahr 1968 der politischen Verfolgung gedient hat. Die Heimunterbringung war daher aufzuheben und mein Mandant für diesen Zeitraum zu rehabilitieren. Denn die Heimunterbringung war das Mittel, die Mutter zur Zusammenarbeit mit der Stasi zu bewegen. Die Unterbringung des Betroffenen zielte daher auch darauf ab, eine politisch intendierte Benachteiligung herbeizuführen. Unerheblich ist dabei nach der Auffassung des Oberlandesgerichts, ob sich der mit der Heimfortdauer verfolgte Zweck gegen die untergebrachte Person selbst oder gegen Dritte richtete. Eine Heimunterbringung ist nämlich auch dann als rechtsstaatswidrig anzusehen, wenn sie sich gegen Eltern oder Verwandte richtete.

Fundstellen: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 07.11.2017, Az. 2 Ws (Reha) 13/16

Bereits am im Jahr 2014 hatte ich darüber berichtet, dass sich die Berliner Polizei weigert, Frauen mit Brustimplantaten einzustellen. Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin das für rechtswidrig erklärt hatte, hätte man meinen können, dass damit die Rechtlage geklärt war, zumal sich zahlreiche andere Verwaltungsgerichte dem Urteil anschlossen (vgl. Artikel „Frauen mit Brustimplantaten dürfen zur Berliner Polizei“ vom 05.03.2014, „Dürfen Frauen mit Brustimplantaten zur Polizei? Verwaltungsgericht München gibt Bewerberin im Eilverfahren Recht“ vom 26.09.2016 und „Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Frau mit Brustimplantat darf zur Polizei“ vom 24.01.2017). Die Berliner Polizei sah das dagegen anders und legte Berufung ein und wies in der Folge weiter Frauen mit Brustimplantaten als Polizisten ab. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat in dem Berufungsverfahren mehrere Sachverständige mit Materialgutachten beauftragt, dabei kam wenig überraschend heraus, dass Frauen mit Brustimplantaten kein signifikant höheres Risiko haben, für längere Zeit wegen der Brustimplantate dienstunfähig zu werden. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat daher mit Urteil vom 28.03.2018, Az. OVG 4 B 19.14, die Bewerbungsablehnung für rechtswidrig erklärt. Die durch die Gutachten nicht gerade niedrigen Kosten des Verfahrens musste natürlich die Berliner Polizei tragen. Stellt die Berliner Polizei jetzt endlich Frauen mit Brustimplantaten ohne jahrelange Rechtsstreitigkeiten ein? Man wird es sehen.

Fundstelle: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.03.2018, Az. OVG 4 B 19.14

Der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte im Jahr 2012 entschieden, dass ein Arbeitnehmer auch an eine unbillige Weisung des Arbeitgebers zunächst gebunden sei. Ihm blieb danach lediglich die Möglichkeit gleichzeitig Klage beim Arbeitsgericht zu erheben, um die Unverbindlichkeit der Weisung feststellen zu lassen. Bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung hätte der Arbeitnehmer die Weisung aber befolgen müssen, um nachteilige arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.2.2012, 5 AZR 249/11).

Diese Rechtsprechung ist vielfach kritisiert worden. Der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts vertritt nun die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber unabhängig von der Anrufung eines Arbeitsgerichts nicht befolgen muss. Das begründete der zehnte Senat im Wesentlichen damit, dass die gesetzliche Grundlage (§ 106 GewO) keine ausdrückliche Regelung über die Rechtsfolgen von Weisungen, die billigem Ermessen nicht entsprechen, enthält. Der Wortlaut lege aber nahe, dass der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nur dann näher bestimmen kann, wenn er billiges Ermessen wahrt. Hält er diese Grenzen nicht ein, verlässt er den Rahmen, den das Gesetz für sein Bestimmungsrecht vorgibt. Aus den allgemeinen Grundsätzen der Billigkeitskontrolle ergäbe sich auch nichts anderes. Eine vorläufige Bindung des Arbeitnehmers sei daher nicht anzunehmen (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.6.2017, 10 AZR 330/16 (A)). Der letzteren Meinung hat sich nunmehr mit Beschluss vom 14.9.2017, 5 AS 7/17, auch der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen. Eine vorläufige Bindung an eine unbillige Weisung des Arbeitgebers besteht demnach nicht mehr.

Fundstellen: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.9.2017, 5 AS 7/17; Beschluss vom 14.6.2017, 10 AZR 330/16 (A); Urteil vom 22.2.2012, 5 AZR 249/11

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 17.11.2017, Az. BVerwG 2 C 25.17, entschieden, dass ein Polizeikommissar im Land Berlin aus dem Polizeidienst entfernt werden kann, wenn er Tätowierungen von Runenzeichen und Emblemen rechtsextremistischer, rassistischer Musikgruppen trägt, wiederholt den Hitlergruß gezeigt, mit einer Hakenkreuzflagge posiert und nationalsozialistische Devotionalien in seiner Wohnung verwahrt hat. Der Beamte habe durch die (öffentlich nicht sichtbare) Tätowierung die Treuepflicht gegenüber dem Land Berlin verletzt, denn damit habe er dokumentiert, dass er sich mit einer verfassungswidrigen Organisation oder Ideologie identifiziere. Der Beamte hatte sich eine Wolfsangel, eine Odalrune und eine Sigrune, die sich zusammen mit weiteren nordischen bzw. mythischen Zeichen im Bereich der linken Schulter um einen Wikingerkopf ranken, tätowieren lassen. Bei ihm zu Hause waren u.a. gerahmte Abbildungen von Adolf Hitler, Rudolf Heß und Horst Wessel neben anderen Devotionalien der rechten Szene gefunden worden. Bei seiner Freundin waren Fotos mit dem Beamten gefunden worden, auf denen er den Hitlergruß gezeigt haben soll. Diese Umstände waren bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, ob in den Tätowierungen ein Verstoß gegen die politische Treupflicht zu sehen ist.

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Polizeibeamter für seinen Beruf nicht geeignet ist, wenn er die freiheitlich-demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung des Grundgesetzes ablehnt. Die Ermittlungsverfahren gegen den Polizeibeamten waren zwar eingestellt worden, wegen des Verdachts der Aufforderung zu Straftaten bzw. Volksverhetzung ist der Beamte vom Landgericht Berlin sogar freigesprochen worden, auf die Strafbarkeit komme es nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts dabei jedoch nicht entscheidend an. Zuvor hatten das Verwaltungsgericht Berlin und das Oberverwaltungsgericht Berlin in den nicht öffentlich-sichtbaren Tätowierungen wegen der fehlenden Außenwirkung keinen Verstoß gegen die politische Treuepflicht eines Polizeibeamten gesehen.

Fundstellen: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.11.2017, Az. BVerwG 2 C 25.17, Pressemitteilung Nr. 79/2017 vom 17.11.2017; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.05.2017, Az. 80 D 6.13; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 09.04.2013, Az. 80 K 22.12 OL

Das Landgericht Potsdam hat mit Beschluss vom 12.05.2017, Az. BRH 33/15, BRH 36/15, die Heimeinweisung der zwei Betroffenen in unterschiedliche Kinderheime in der DDR wegen politischer Verfolgung als rechtsstaatswidrig aufgehoben. Es weicht damit scheinbar von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab. Der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung, dass eine Heimunterbringung der Kinder nicht als rechtsstaatswidrig aufzuheben ist, wenn diese allein aus dem Anlass erfolgte, dass die Eltern infolge ihrer politisch motivierten Inhaftierung an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert waren (BGH, Beschluss vom 05.03.2015, Az. 4 StR  525/13). Denn dann richte sich die politische Verfolgung nicht unmittelbar gegen die Kinder, sondern sei lediglich die Folge der politischen Verflogung der Eltern.

In dem von dem Landgericht Potsdam entschiedenen Fall hatten die Eltern versucht zusammen mit ihren beiden betroffenen Kindern im Juli 1971 von Bulgarien aus mit einem Faltboot in die Türkei überzusetzen. Bei diesem Fluchtversuch wurden sie festgenommen und inhaftiert. Die Eltern wurden von der Stasi vernommen und  wegen versuchter Republikflucht und Spionage zu Freiheitsstrafen von 7 bzw. 5 Jahren verurteilt. Die Kinder wurden seit der Inhaftierung der Eltern in Kinderheimen untergebracht. Bis auf einen Urlaubsaufenthalt bei der Großmutter und einer Tante blieben die Kinder bis zur Amnestie der Eltern im Heim. Die Kinder wurden im Februar 1973 aus den Kinderheimen zu ihren Eltern entlassen. Mehrere Verwandte der Kinder wären damals bereit gewesen, die Kinder bei sich aufzunehmen, wurden aber von den Behörden der DDR nicht gefragt, ihnen wurde vielmehr -wie den Eltern- die Unterbringung und der Aufenthaltsort der Kinder verheimlicht. Ein Briefkontakt der Kinder mit den Verwandten wurde von den DDR-Behörden verhindert.

Das Landgericht Potsdam hat die Heimeinweisungen der Kinder in dem Beschluss vom 12.05.2017, Az. BRH 33/15, BRH 36/15, für rechtsstaatswidrig erachtet, weil die Unterbringung der Kinder nicht allein dem Umstand geschuldet war, dass die Eltern wegen ihrer Inhaftierung die Sorge und die Erziehung der Kinder nicht wahrnehmen konnten. Die Kinder sollten vielmehr für den missglückten Fluchtversuch der Eltern mitbestraft werden, weshalb auch die Kotaktsperre erlassen wurde. Die Kinder sind deshalb wegen verhängter Sippenhaft selbst Opfer unmittelbarer politischer Verfolgung geworden und entsprechend zu rehabilitieren.

Fundstelle: Landgericht Potsdam, Beschluss vom 12.05.2017, Az. BRH 33/15, BRH 36/15

Opfer rechtsstaatswidriger Freiheitsentziehung in der DDR können die diesbezüglichen Haftbefehle, Strafurteile oder Heimeinweisungen nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) aufheben lassen. Wurde die entsprechende DDR-Entscheidung für rechtsstaatswidrig erklärt und damit eine symbolische Rehabilitierung ausgesprochen, kann der Betroffene Folgeleistungen beantragen. Unter gewissen Voraussetzungen hat der Betroffene einen Anspruch auf Haftentschädigungen oder die monatliche Opferrente (sogenannte Opferpension).

Diese Folgeleistungen kann der Staat aber ablehnen oder -falls sie bereits bewilligt und gezahlt worden sind- zurückfordern, wenn ein Ausschlussgrund vorliegt. Ein Grund für die Rückforderung ist laut dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, dass der Betroffene selbst gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen hat. Mit dieser gesetzlichen Regelung sollten z. B. diejenigen von den Entschädigungsleistungen ausgeschlossen werden, die selbst als inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi andere bespitzelt und der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt haben.

Teilweise werden die Anträge von DDR-Opfern auf Folgeleistungen aber leider ohne jede weitere Einzelfallprüfung abgelehnt, wenn nur geringe Verdachtsmomente vorliegen. So werden Entschädigungsanträge von den zuständigen Behörden mitunter bereits dann abgelehnt, wenn der Betroffene von der Stasi oder der Volkspolizei als geheimer, inoffizieller Mitarbeiter geführt wurde oder auch nur ein irgendwie angedeutetes Zusammenwirken erkennbar wird. Das entspricht aber nicht der Gesetzeslage. Die reine Verpflichtung als IM reicht nach herrschender Meinung nicht aus, um Opfern von DDR-Unrecht Entschädigungsleistungen zu entziehen. Das Kammergericht hat jetzt durch Beschluss vom 25.07.2017, Az. 4 Ws 74/17 REHA, über einen Fall der Rückforderung von Entschädigungszahlungen entschieden und die einzelnen Prüfungspunkte und den anzulegenden Prüfungsmaßstab deutlich herausgearbeitet.

In dem von mir für den Antragsteller geführten Verfahren ging es um einen ehemaligen Mitarbeiter des Studios für Unterhaltungskunst. Wer bei diesem Studio z. B. als externer Mitarbeiter aufgenommen worden war, konnte auch in der DDR bestimmte, fachspezifische Westdruckerzeugnissen per Post erhalten. Diese Sondergenehmigung wurde Sammlern erteilt, von denen erwartet wurde, dass sie im Sinne der SED-Kulturpolitik publizieren würden und konnte bei nicht systemkonformen Verhalten wieder entzogen werden. Der Betroffene war vor seiner Tätigkeit im Studio für Unterhaltungskunst im Jahr 1962 wegen versuchter Republikflucht zu einer Haftstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden. Er hat die Haft unter verschärften Bedingungen verbüßt und leidet noch heute gesundheitlich unter den damaligen Haftbedingungen. Die DDR-Verurteilung wegen der versuchten Republikflucht war vom Landgericht aufgehoben und der Betroffene für die Haft rehabilitiert worden. Als Entschädigung für die Haftzeit hatte er eine Entschädigung in Höhe von 6.600,00 DM (3.374,53 €) erhalten. Später im Jahr 2013 stellte er den Antrag auf Anerkennung der durch die Haft verursachten Gesundheitsschäden. Im Rahmen dieses Antrages prüfte die in Berlin zuständige Behörde, das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), nicht etwa die Voraussetzungen des Anspruches, sondern ging zunächst der Frage nach, ob Ausschlussgründe vorliegen. Mittlerweile waren bei der Stasi-Unterlagenbehörde neue Dokumente aufgetaucht, in denen der Antragsteller erwähnt wurde.

Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Sammler, der die Sondergenehmigung für in der DDR verbotene Zwecke genutzt haben soll, wurde der Betroffene von Stasi-Mitarbeitern befragt und aufgefordert, eine Liste mit Namen der Antragsteller auf eine Ausnahmegenehmigung zu erstellen. Es sind zwei Treffen der Stasi-Leute mit meinem Mandanten belegt, beim ersten Treffen gaben sich die Stasi-Leute zunächst als Mitarbeiter des Ministeriums für Inneres aus. Beim zweiten Treffen soll der Betroffene eine Liste der Antragsteller für die Sondergenehmigung übergeben haben. Er soll über die Funktionsweise des Studios berichtet haben, darüber dass die Sammler auch in westdeutschen Zeitschriften publizierten und es toleriert wurde, dass sich die Sammler in Ausnahmefällen über die damalige Tschechoslowakei oder Polen das gewünschte Material zusenden lassen konnten. Zudem findet sich in den Stasi-Akten eine Verschwiegenheitserklärung meines Mandanten bezüglich dieser Treffen.

Die Behörde sah darin einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit, weil der Betroffene Berichte und personenbezogene Informationen geliefert habe, die andere in die Gefahr der Verfolgung gebracht hätten. Es sei ausreichend, dass man zum Zeitpunkt der Preisgabe der Informationen an die Sicherheitsbehörden damit rechnen musste, dass Dritten Schaden entstehen könnte.

Der gegen den Rückforderungsbescheid eingelegte Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde vom Landgericht Berlin abgelehnt. Das Landgericht folgte dabei im Wesentlichen dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in der Argumentation. Den Vortrag des Betroffenen, dass er nur der Stasi bereits bekannte Informationen geliefert habe, eine Gefährdung Dritter durch seine Einlassungen also ausgeschlossen war und er sich einer über die Befragung hinausgehenden Zusammenarbeit widersetzt habe, ließ das Landgericht nicht gelten. Der Vortrag sei zu unsubstantiiert und spekulativ. Der Übersendungsbericht der Stasi-Unterlagenbehörde stütze den Vortrag zudem nicht.

Das Kammergericht hob dagegen auf die von mir für den Betroffenen eingelegte Beschwerde den Rückforderungsbescheid und den Beschluss des Landgerichts Berlin wieder auf. Das Kammergericht erläutert in dem Beschluss vom 25.08.2017 ausführlich die rechtlichen Voraussetzungen einer Rückforderung der Kapitalentschädigung für Opfer der SED-Diktatur.

Voraussetzung für den Leistungsausschluss ist demnach, dass der Betroffene selbst zum Täter geworden sein muss. Nicht jede unbedeutende Verstrickung in das politische System hat einen Leistungsausschluss zur Folge. Die reine Erfassung als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) reicht dafür ohne weitere schwerwiegende Vorwürfe nicht aus. Es muss vielmehr ein erhebliches gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßendes Verhalten nachweisbar sein, dass einen Bezug zum System der DDR aufweist und geeignet war, das SED-Unrechtsregime aufrechtzuerhalten. Die Intensität oder die Auswirkungen der Zusammenarbeit mit den entsprechenden DDR-Sicherheitsorganen müssen in einem Maß als verwerflich anzusehen sein, dass sie die durch die rechtsstaatswidrige Haft erlittenen, eigenen Schäden eindeutig überwiegen. Der Ausschlussgrund ist an sich für Personen gedacht, die freiwillig und gezielt, aus eigenem Antrieb und durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und durch Missbrauch persönlichen Vertrauens Informationen über Mitbürger gesammelt haben und diese an die Staatssicherheit weitergegeben haben. Es genügt, dass sich jemand freiwillig als Denunziant oder Spitzel betätigte, um hieraus eigene Vorteile zu erlangen. In jedem Einzelfall ist eine sorgfältige Abwägung zwischen der Verwerflichkeit des Handelns und dem Ausmaß des demjenigen selbst zugefügten Unrechts andererseits erforderlich, wobei danach gefragt werden muss, ob der Betroffene mit seinem Verhalten die Aufrechterhaltung des SED-Unrechtsregimes bezweckt hat oder nicht.

Die tatsächlichen Grundlagen der Voraussetzungen des Ausschlussgrundes müssen von der Behörde bewiesen werden, bloße Wahrscheinlichkeiten oder Vermutungen reichen nicht aus. Bei Nichtaufklärbarkeit trägt die Behörde nach dem verwaltungsrechtlichen Normbegünstigungsprinzip die Beweislast.

Nach diesen Maßstäben erweist sich die Argumentation des LaGeSo und des Landgerichts im vorliegenden Fall als nicht tragfähig. Es fehlt an einer sorgfältigen einzelfallbezogenen Prüfung, eine floskelhafte Begründung ohne Erörterung sich aufdrängender aktenkundiger Umstände lassen nach dem Beschluss des Kammergerichts im vorliegenden Fall insgesamt Zweifel am Vorliegen einer ordnungsgemäßen Justizgewährung aufkommen.

Im Einzelnen führt das Kammergericht aus, dass aus der Übergabe einer Liste mit (abgelehnten) Bewerbern um eine Sondergenehmigung im Arbeitskreis für Dokumentation der Unterhaltungskunst oder dem Zentralen Studio für Unterhaltungskunst keine Handlung im oben beschriebenen Sinne darstellt. Denn es liegt fern, dass die Benennung der abgelehnten Bewerber um eine Sondererlaubnis diese einer konkreten Gefahr ausgesetzt haben oder eine bereits bestehende Gefahr verstärkt haben könnten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass die Bewerber der Stasi aufgrund dessen Einbindung in den Überprüfungs-, Auswahl- und Entscheidungsprozess in das Genehmigungsverfahren ohnehin bekannt waren. Zudem hätte die Stasi diese Liste vom Zentralen Studio auch ohne die Hilfe des Betroffenen  Problem anfordern können.

Das Kammergericht stellt klar, dass die Behörden nicht mit einer generell-abstrakten Eignung einer gegebenen Information argumentieren dürfen, sondern zunächst nachzuweisen haben, dass die Tätigkeit des Stasi-Zuträgers im konkreten Fall grundsätzlich geeignet war, den Denunzierten ernsthaft in die Gefahr repressiverer staatlicher Maßnahmen zu bringen und das SED-Regime aufrecht zu erhalten. Im vorliegenden Fall hat das Kammgericht bereits den objektiven Tatbestand verneint. Daneben sind aber auch die subjektiven Voraussetzungen nicht gegeben, um eine Erstattung der Entschädigungszahlungen zu rechtfertigen. Der Betroffene suchte nicht eigeninitiativ den Kontakt mit der Stasi. Die Stasi verschleierte den Termin vielmehr zunächst als eine polizeiliche Untersuchungsmaßnahme. Der Betroffene befand sich in einer Verteidigungsposition, die es verständlich erscheinen lässt, dass der Betroffene eine gewisse Kooperationsbereitschaft gegenüber der Stasi signalisieren musste.

Weiter führt das Kammergericht aus, dass die vom Betroffenen gegebenen Informationen unverfänglich waren und in keiner Weise die Annahme eines Ausschlussgrundes rechtfertigen. Der Betroffene hatte nur über den allgemein bekannten Umstand berichtet, dass die Inhaber der Sondergenehmigungen auch in Westfachmedien publizierten, was allerdings von diesen staatlicherseits auch erwartet wurde. Die Benennung einzelner Autorennamen sei insoweit für diese alles andere als gefährlich gewesen, zumal der Betroffene gegenüber der Stasi betont hat, dass es bezüglich der Artikel nur fachliche Probleme aber keine feindlichen gegen die DDR gerichtete Inhalte gegeben habe.

Auch der Hinweis des Betroffenen, dass die Inhaber einer Sondergenehmigung die Möglichkeit haben, sich über Polen und die damalige CSSR die Westmedien schicken zu lassen, stellt keine Aussage dar, die einen anderen in die konkrete Gefahr staatlicher Verfolgung gebracht haben könnte. Der Betroffene habe nur eine Person benannt, gegen die bereits ein abgeschlossenes Ermittlungsverfahren wegen des Missbrauchs der Sondergenehmigung geführt worden war. Dieses Ermittlungsverfahren war der Anlass, weshalb die Stasi-Mitarbeiter den Betroffenen überhaupt aufgesucht hatten, so dass der Betroffene nicht vorwerfbar hätte annehmen müssen, dass sein Hinweis zu einer weiteren Gefährdung des Benannten führen würde. Zudem hätte sich der Betroffene als Leiter des Zentralen Studios selbst Vorwürfen ausgesetzt, wenn er den Ermittlungsbehörden neue Verfehlungen von Inhabern der Sondergenehmigung mitgeteilt hätte. Die rechtlich notwendige, abschließende Abwägung der Verwerflichkeit des eigenen Handelns und dem Ausmaß diesem zugefügten Unrechts sei zudem vom Landgericht gar nicht erst vorgenommen worden, bei der wäre aber zu berücksichtigen gewesen, dass der Betroffene den Anwerbeversuch mit der Stasi letztendlich abgelehnt hat.

Fundstellen: Kammergericht, Beschluss vom 25.07.2017, Az. 4 Ws 74/17 REHA

Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V.  (UOKG) hat am 11.10.2017 die wissenschaftliche Studie „Historische, rechtliche und psychologische Hintergründe des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen in der DDR“ veröffentlicht. Danach belegen interne Statistiken, dass es zwischen 1960 und 1989 84.000 Anzeigen wegen sexuellen Kindesmissbrauchs in der DDR gegeben hat. Gerade auch in den Spezialheimen und Jugendwerkhöfen sei es immer wieder zu sexuellen Übergriffen gekommen. Als Extremfälle für die dort herrschende Kombination aus institutioneller Herrschaft und sexualisierter Gewalt werden in der Studie der Jugendwerkhof Rödern, das Jugendhaus Wriezen und der Jugendwerkhof Klaffenbach exemplarisch untersucht. Der geschlossene Jugendwerkhof Torgau war dagegen nicht Teil der Studie.

Quellen:  Expertise des Herrn Dr. Christian Sachse, Frau Stefanie Knorr und Herrn Benjamin Baumgart, „Historische, rechtliche und psychologische Hintergründe des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen in der DDR“ vom Oktober 2017, Pressemitteilung UOKG „Expertise zu sexuellem Missbrauch in der DDR erschienen“ vom 11.10.2017

Seit dem 01.01.2017 können Betroffene, die als Kinder und Jugendliche in stationören Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie untergebracht wurden, bei der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ einen Antrag auf Entschädigung stellen. Betroffene können sich an die Anlauf- und Beratungsstellen vor Ort wenden, die spätestens bis zum 01.04.2017 zur Verfügung stehen sollen. Der Fond kann neben der Anerkennung des erfahrenen Unrechts eine einmalige pauschale Geldleistung in Höhe von 9.000,00 € sowie gegebenenfalls Rentenersatzleistungen von 3000,00 € oder 5.000,00 € gewähren. Westdeutsche Betroffene werden nur für Unterbringungen im Zeitraum 23.05.1949 bis zum 31.12.1975 entschädigt, ostdeutsche Betroffene können für eine Unterbringung während der gesamten Dauer der DDR eine Wiedergutmachung verlangen. Für Betroffene aus der ehemaligen DDR kann daneben weiterhin eine Rehabilitierung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Betracht kommen.

Fundstelle: Homepage der Stiftung Anerkennung und Hilfe

Nach dem Verwaltungsgericht Berlin (vgl. Blogbeitrag vom 5. März 2014: „Frauen mit Brustimplantaten dürfen zur Berliner Polizei“) und dem Verwaltungsgericht München (vgl. Blogeintrag vom 26.09.2016: „Dürfen Frauen mit Brustimplantaten zur Polizei? Verwaltungsgericht München gibt Bewerberin im Eilverfahren Recht“) hat jetzt auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in dem umfangreich begründeten Urteil vom 23.11.2016, Az. 1 K 2166/14, entschieden, dass Frauen mit Brustimplantaten nicht generell vom Beruf der Polizistin ausgeschlossen werden dürfen.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat in dem Urteil festgestellt, dass grundsätzlich eine individuelle, medizinische Begutachtung der Beamtenbewerberin notwendig ist, allerdings trägt der Dienstherr die Beweislast für eine angebliche Dienstuntauglichkeit. Lassen sich vorzeitige dauernde Dienstunfähigkeit oder krankheitsbedingte erhebliche und regelmäßige Ausfallzeiten weder feststellen noch ausschließen, so muss die Bewerberin zum Polizeidienst zugelassen werden. Bloße Zweifel an der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin sind dagegen nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts unerheblich.
In dem Verfahren in Gelsenkirchen hatte das Gericht ein Sachverständigengutachten eines Arztes für plastische und ästhetische Chirurgie vom Universitäts-Klinikum Bonn eingeholt. Es fasst das Ergebnis des Gutachtens wie folgt zusammen:

„Aus dem Vorstehenden ergibt sich nicht, dass eine Dienstunfähigkeit oder erhebliche Ausfallzeiten der Klägerin vor dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze infolge der bei ihr eingesetzten Brustimplantate überwiegend wahrscheinlich sind. Selbst die im Gutachten genannten ungünstigsten Wahrscheinlichkeitswerte liegen deutlich unterhalb von 50%. Auch aus der Angabe am Ende des Gutachtens, es sei durchaus wahrscheinlich, dass bei der Klägerin bis zum Erreichen des 62. Lebensjahres behandlungsbedürftige Komplikationen auftreten, ergibt sich nichts anderes. Zum einen nimmt auch diese Prognose keine überwiegende Wahrscheinlichkeit an. Zum anderen betrifft diese Prognose lediglich das Auftreten einzelner Komplikationen, gibt jedoch nichts dafür her, ob diese Komplikationen zu einer Dienstunfähigkeit oder erheblichen Ausfallzeiten führen werden. Ausfallzeiten von wenigen Tagen oder Wochen würden für die Annahme einer Polizeidienstuntauglichkeit nicht hinreichen.“

Daher durfte die Bewerbung der Klägerin nicht wegen der Brustimplantate abgelehnt werden. Es liegen keine medizinisch fundierte Tatsachen vor, die eine dauernde Dienstunfähigkeit oder erhebliche Ausfallzeiten als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen.

Fundstelle: Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 23.11.2016, Az. 1 K 2166/14, Pressemitteilung vom 23.11.2016

Es ist bisher nicht abschließend geklärt, ob Frauen mit Brustimplantaten in den Polizeidienst aufgenommen werden können oder ob gesundheitliche Risiken dem entgegenstehen. Zwar hat das Verwaltungsgericht Berlin in dem ausführlich und überzeugend begründeten Urteil vom 22.01.2014, Az. VG 7 K 117.13, entschieden, dass typische Polizeieinsätze und das Tragen der Schutzkleidung keine Gesundheitsgefährdung für eine Polizistin mit Brustimplantaten darstellen. Eine Bewerberin sei daher auch beim Vorhandensein von Brustimplantaten als polizeivollzugsdiensttauglich anzusehen und damit einzustellen (vgl. Blogbeitrag vom 5. März 2014: „Frauen mit Brustimplantaten dürfen zur Berliner Polizei“). Allerdings ist die Berliner Polizeibehörde gegen das Urteil in Berufung gegangen. Eine Entscheidung des nun zuständigen Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg steht immer noch aus. Anträge im einstweiligen Rechtsschutz auf Einstellung der Bewerberinnen haben die Berliner Verwaltungsgerichte bislang abgelehnt. Umso erfreulicher ist es, dass das Verwaltungsgericht München einer dortigen Bewerberin nun Recht gegeben hat (vgl. Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 21.09.2016, Az. M 5 E 16.2726). Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts München stellen Brustimplantate kein Grund dar, um einer Bewerberin die Einstellung in den Polizeidienst zu verweigern. Das Gericht war bei seiner Entscheidung einer fachärztlichen Stellungnahme eines plastischen Chirurgen gefolgt, wonach im konkreten Fall kein erhöhtes Verletzungsrisiko im Polizeidienst bestehe.

Fundstellen: Verwaltungsgericht München, München, Beschluss vom 21.09.2016, Az. M 5 E 16.2726, Pressemitteilung vom 22.09.2016; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 22.01.2014, Az. VG 7 K 117.13, Pressemitteilung Nr. 16/2014

Mit dem Blogeintrag vom 29.01.2012 berichtete ich über ein Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 08.12.2011 zu der Frage ob das Zeigen eines Banners mit der Aufschrift „A. C. A. B.“ bei einem Fußballspiel strafbar ist. Die Abkürzung steht für den englischen Satz „all cops are bastards“. Ein Polizeibeamter fühlte sich durch das Banner beleidigt und stellte einen Strafantrag wegen Beleidigung. Das Landgericht Karlsruhe hat den Beschuldigten freigesprochen. Ursprünglich hatte das Amtsgericht Karlsruhe mittels eines Strafbefehls eine Geldstrafe gegen den Beschuldigten erlassen, diesen dann aber ebenfalls freigesprochen, nachdem der Beschuldigte Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hatte.

Allerdings hat das Oberlandesgericht Karlsruhe -wie berichtet- auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil wieder aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Karlsruhe zurückverwiesen. Das Landgericht Karlsruhe verurteilte den Beschuldigten dieses Mal und verhängte eine Verwarnung mit Strafvorbehalt zu einer Geldstrafe in Höhe von 600,00 €. Das entsprach also in etwa dem ursprünglichen Strafbefehl, nur dass die Geldstrafe dieses Mal „zur Bewährung“ ausgesetzt wurde.

Der Beschuldigte legte gegen das Urteil Revision und gegen die Verwerfung der Revision durch das Oberlandesgericht Karlsruhe eine Anhörungsrüge ein. Auch die Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht Karlsruhe zurück. Das Oberlandesgericht begründete seine Entscheidungen damit, dass es sich bei dem Akronym „A. C. A. B.“ um eine Schmähkritik handele, die nicht von der Meinungsfreiheit umfasst sei. Hiergegen hat der Beschuldigte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun mit Beschluss vom 17.05.2016, Az. 1 BvR 2150/14, entschieden, dass die strafrechtliche Verurteilung in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung gem. Art. 5 GG eingreift. Die Parole „all cops are bastards“ bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck. Zwar ist auch eine strafbewehrte Kollektivbeleidigung durch die Kundgabe des Akronyms „A. C. A. B.“ grundsätzlich denkbar, dafür bedarf es aber einer gewissen, konkreten Individualisierung der Beleidigung. Daran fehlt es hier aber gerade, das Bundesverfassungsgericht führt insoweit aus (Rn. 18): „Aus den Feststellungen des Gerichts ist insofern nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtete.“

„Eine strafbegründende Deutung der Aktion des Beschwerdeführers, wonach die Buchstabenkombination ohne weiteren Zusammenhang mit anderen Äußerungen im Rahmen des durch Einsatzkräfte der Polizei gesicherten Sportstadions als an diese adressiert hätte erscheinen müssen, war vorliegend den Feststellungen der Fachgerichte nicht zu entnehmen. Vielmehr war unmittelbar vor der Verwendung des Akronyms „ACAB“ Kritik an den Beweis- und Festnahmeeinheiten „(BFE)“ sowie an den Polizeieinsätzen im Rahmen des Projekts „Stuttgart 21“ geäußert und damit eine in der Öffentlichkeit viel diskutierte Frage aufgenommen worden. „

Eine unzulässige Schmähung der Polizeibeamten lag hier nicht vor, da es an der personalisierten Zuordnung auf eine bestimmte Gruppe fehlte und auch nicht die Diffamierung einer Person im Vordergrund stand. Denn es ging um eine allgemeine Kritik an der Polizeiarbeit. Das Bundesverfassungsgericht hat die Sache nun erneut an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückverwiesen. Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wird nun auch das Oberlandesgericht Karlsruhe nicht umhinkommen, den Beschuldigten frei zu sprechen.

In dem vorliegenden Fall lag es eigentlich auf der Hand, dass das Hochhalten des Plakats mit der Buchstabenkombination „A. C. A. B.“ im Zusammenhang mit den vorher hochgehaltenen Transparenten gesehen werden musste und eine Verurteilung wegen Beleidigung daher ausscheiden musste (vgl. Blogeintrag vom 29.01.2012). Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch noch einen anderen Fall zu dieser Thematik entschieden. Dabei ging es um einen Stadionbesucher in Bayern, der eine Hose mit der Aufschrift „ACAB“ trug. Auch hier hatten die bayrischen Gerichte den Träger der Hose wegen Beleidigung verurteilt. Auch diese Verurteilung stellt einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit dar. Das Bundesverfassungsgericht führt in dem Beschluss vom 17.05.2016, Az. 1 BvR 257/14, aus, dass das bloße Tragen einer Hose mit der Aufschrift „ACAB“ bei einem Fußballspiel, nicht ausreicht, um einen Bezug auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe anzunehmen. Es reicht nicht aus, dass die im Stadion eingesetzten Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten sind. Vielmehr bedarf es einer personalisierten Zuordnung der Beleidigung, um eine strafrechtliche Verurteilung zu rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht formuliert in dieser Entscheidung (Rn. 17): „Der bloße Aufenthalt im Stadion im Bewusstsein, dass die Polizei präsent ist, genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine erkennbare Konkretisierung der Äußerung auf bestimmte Personen nicht. Es ist hieraus nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtet.“

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 17.05.2016, Az. 1 BvR 2150/14 und 1 BvR 257/14; Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 17. 06.2014, Az. 1(8) Ss 678/13-AK 15/14, Beschluss vom 20. 05.2014, Az. 1(8) Ss 678/13-AK 15/14; Urteil vom 19.07.2012, Az. 1 (8) Ss 64/12-AK 40/12; Landgericht Karlsruhe, Urteil vom vom 25.09.2013, Az. 9 Ns 410 Js 5815/11;  Urteil vom 08.12.2011, Az.: 11 Ns 410 Js 5815/11; Amtsgericht Karlsruhe, Urteil vom 12.05.2011, Az. n. n.; Oberlandesgericht München, Beschluss vom 18.12.2013, Az. 4 OLG 13 Ss 571/13

Das Kammergericht hat mit Beschluss vom 06.08.2015 ausdrücklich festgestellt, dass ein DDR-Urteil auch dann aufgehoben werden muss, wenn die Gerichtsentscheidung unter Verstoß gegen wesentliche, rechtsstaatliche Verfahrensgarantien zustande gekommen ist. Das kann der Fall sein, wenn Rechte des Beschuldigten z. B. aus Art. 5, 6 EMRK oder § 136a StPO bei den Ermittlungen bzw. dem Gerichtsverfahren missachtet wurden. Gerade der Tatbestand des Rowdytums (§ 215 StGB-DDR) wurde oft gegen Demonstranten angewandt. Die Annahme politischer Verfolgung liegt bei diesem Tatbestand insbesondere bei Urteilen nahe, die im Rahmen von Justizkampagnen gegen politisch missliebige „westlich orientierte“ Jugendliche ergingen.

In dem vom Kammergericht behandelten Fall, war der damals 16 Jahre alte Betroffene für die angebliche Teilnahme an Ausschreitungen an dem Nationalfeiertag der DDR (Tag der Republik) am 07.10.1977 auf dem Berliner Alexanderplatz festgenommen und später wegen Rowdytums zu einer Haftstrafe von 6 Wochen verurteilt worden. Bei dem Ereignis sollen laut den Auswertungen der Stasi Sprechchöre politischen Inhalts („Nieder mit der DDR“, „Honecker raus – Biermann rein“, „Mauer weg“, „Freiheit“, „Nieder mit dem Polizeistaat“, „Russen raus“), Fanlieder des Fußballvereins 1. FC Union Berlin und weniger politische Gesänge wie „Bullenschweine“, „Haut se haut se immer uff de Schnauze“ und „Nieder mit dem Bullenpack“ gerufen worden sein. Das Stadtbezirksgericht Berlin-Treptow verurteilte den Betroffenen zu 6 Wochen Haftstrafe und 200 Mark Schadenersatz, weil er letztere mitgesungen haben soll.

In dem vorliegenden Fall ließ sich anhand der Unterlagen nachweisen, dass die Stasi Einfluss auf die Strafverfolgung ausgeübt hat. Das Strafrecht ist daher für sachfremde Zwecke instrumentalisiert worden. So wurde die Freiheit dem Antragsteller unter Verstoß gegen Art. 5 EMRK entzogen. Denn  die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls lagen auch nach dem damals geltenden DDR-Recht nicht vor. Damit war der Erlass des Haftbefehls willkürlich. Der Betroffen wurde zudem in seinem Recht auf Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. C EMRK) verletzt. Denn auch nach dem Verfahrensrecht der DDR hätte ihm damals ein Verteidiger bestellt werden müssen, was aber nicht geschehen ist. Stattdessen erhielt er lediglich einen Jugendbeistand.

Zudem wurde durch das Agieren der DDR-Sicherheitsorgane gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßen. Die Vernehmungsbeamten wendeten gegen den Antragsteller verbotene Vernehmungsmethoden im Sinne des heutigen § 136a StPO an. Unmittelbar vor der Vernehmung wurde der Betroffene geschlagen und zu Boden gestoßen. Während einer Vernehmung wurde er bedroht, an den Haaren gerissen und ist in einer Haltung mit verdrehten Armen angeschrien. Ihm wurde in Aussicht gestellt, dass alles nicht so schlimm sei und er in Kürze entlassen werden würde, wenn er ein Geständnis ablege. Bei einer weiteren Vernehmung in der Untersuchungshaftanstalt wurde er angeschrien und mit jahrelangem Wegsperren und möglichen Schwierigkeiten für seine Eltern bedroht. Er musste Liegestütze machen, bis er nach Wegreißen seines Arms mit dem Gesicht auf den Boden aufschlug. Bei den Vernehmungen sind dem Antragsteller ganze Aussageinhalte vorgegeben und zu Protokoll genommen worden.

Die verhängte Strafe von 6 Wochen Haft zeigt, deutet weiter darauf hin, dass die Verurteilung sachfremd motiviert war. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe mit Freiheitsentzug und der Zusatzstrafe (Zahlung von 200 Mark) lagen auch nach dem DDR-Recht nicht vor. Die Urteilsgründe enthalten keinerlei Strafzumessungserwägungen. Es fehlt an jeglicher inhaltlichen Begründung nicht nur für die Wahl der Strafart, sondern auch für die Dauer der verhängten Haftstrafe, die das seinerzeit gesetzlich zulässige Höchstmaß von sechs Wochen ausschöpfte.

Das Kammergericht führt in dem Beschluss richtiger Weise aus: „Der den Gegenstand des Urteils bildende Tatvorwurf erscheint unter Berücksichtigung der Gesamtumstände konstruiert. Die Weichenstellungen für die (erwünschte) Verurteilung sind bereits bei der Sachverhaltsermittlung erfolgt, indem unter Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien ein Geständnis des Betroffenen herbeigeführt wurde.“ Die bewusste Missachtung der Beschuldigtenrechte deute zudem auf sachfremde Zwecke der Strafverfolgung hin.

Fundstelle: Kammergericht, Beschluss vom 06.08.2015, Az. 4/2 Ws 109-110/14 REHA



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