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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 08.11.2011, Beschwerdenummern 8080/08 und 8577/08, einstimmig  wegen Freiheitsentziehung und Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit verurteilt. Die zwei Beschwerdeführer waren im Juni 2007 zum G8-Gipfel in Heiligendamm  nahe Rostock gereist, um dort an den Demonstrationen teilzunehmen. In Rostock wurden sie auf einem Parkplatz vor einer Justizvollzugsanstalt kontrolliert. Bei der Kontrolle fanden die Polizisten Transparente mit den Aufschriften „free all now“ und „Freedom for all prisoners“ im Besitz der Beschwerdeführer. Daraufhin wurden die Beschwerdeführer für fast 6 Tage mit der Begründung in Polizeigewahrsam genommen, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sie in Freiheit Straftaten begehen würden. Das Amtsgericht Rostock bestätigte diese Maßnahme, da durch die Transparente belegt sei, dass die Beschwerdeführer zur Befreiung von Gefangenen aufrufen wollten. Das Landgericht Rostock und das Oberlandesgericht wiesen die von den Beschwerdeführern  eingelegten Rechtsmittel gegen die vorbeugenden Festnahmen umgehend zurück. Wobei selbst das Oberlandesgericht Rostock in seinem konventionswidrigen Beschluss vom 07.06.2007, Az. 3 W 83/07, in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (Meinungsfreiheit) festhielt: „Dem Betroffenen ist zuzugeben, dass die Aufschriften auf den Transparenten mehrdeutig sind.“ Die eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde ebenfalls abgelehnt, nachdem es das Bundesverfassungsgericht bereits  abgelehnt hatte, eine Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung herbeizuführen. Das Strafverfahren gegen die Beschwerdeführer wurde später eingestellt. Als Rechtsgrundlage für die mehrtägige Ingewahrsamnahme diente § 55 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (SOG-MV). Nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG-MV kann eine Person nur in Gewahrsam genommen werden, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern. Nach dem nun ergangenen Kammerurteil des EGMR verstieß die Festnahme auf Grundlage von § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG-MV im konkreten Fall gegen Artikel 5 Abs. 1 und Art. 11  der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Artikel 5 Abs. 1 EMRK regelt das Recht auf Freiheit und Sicherheit, Artikel 11 die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Der EGMR hält die Ingewahrsamnahme für nicht notwendig, denn es hätte vollkommen ausgereicht, die Plakate zu beschlagnahmen. Das wäre auch auf Grundlage von  § 61 Abs. 1 SOG-MV möglich gewesen. Die vorbeugende Ingewahrsamnahme lediglich zum Zwecke mögliche künftige Straftaten zu verhindern, verstoße laut dem Urteil zudem auch deshalb gegen Art. 5 Abs. 1 EGMR, weil dadurch in die geschützten Rechte der Beschwerdeführer in unzulässiger Weise eingegriffen werde. Die mehrtägige Ingewahrsahmnahme mit dem weiteren Zweck, zu verhindern, dass die Beschwerdeführer ihre mitgeführten Transparente auf der Demonstration zeigen konnten, war zudem ein menschenrechtswidriger und unverhältnismäßiger Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Die Beschwerdeführer beabsichtigten zulässiger Weise mit den Plakaten gegen das Sicherheitsmanagement der Polizei, insbesondere die hohe Zahl der Festnahmen, zu protestieren. Die Bundesrepublik muss nun je 3000,00 € Schadenersatz für immaterielle Schäden (Schmerzensgeld) an die Beschwerdeführer zahlen und deren Kosten in Höhe von je zirka 4.500 € ausgleichen (vgl. Art. 41 EGMR). Es ist schon einiger Maßen bestürzend, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerden (Az. 2 BvR 1521/07 und 2 BvR 1520/07) der zu Unrecht Inhaftieren laut Urteil vom 08.11.2011 ohne Begründung am 06.08.2007 abgelehnt hat und erst der EGMR die Sache durch das einstimmig ergangene Urteil über vier Jahre nach der Grundrechtsverletzung wieder geraderücken muss.

Fundstellen: Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 08.11.2011, „CASE OF SCHWABE AND M.G. v. GERMANY“, Beschwerdenummern 8080/08 und 8577/08 (Urteil in englischer Sprache); Presseerklärung vom 01.12.2011 (in deutscher Sprache);  Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 07.06.2007,  Az. 3 W 83/07 (welcher laut dem oben zitierten Urteil des EGMR gegen die EMRK verstößt)

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