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Verwaltungsgericht Potsdam: Keine Kollektivverfolgung der Bekennenden Kirche im Dritten Reich

Eine historische Frage hatte das Verwaltungsgericht Potsdam zu klären. In dem Gerichtsstreit ging es um die Frage, ob die Bekennende Kirche bzw. deren Mitglieder im Dritten Reich als Kollektiv der Verfolgung (im Sinne des Vermögensgesetzes) ausgesetzt waren.

Die Klägerseite forderte Rückübertragung eines Grundbesitzes nach dem Vermögengesetz in Verbindung mit der Rückerstattungsanordnung (REAO). Aus Sicht der Klägerseite handelte es sich um einen Zwangsverkauf zu Zeiten der nationalsozialistischen Herrschaft. Dieser sei u. a. deshalb erfolgt, weil der damalige Eigentümer Mitglied der Bekennenden Kirche war und diese im Dritten Reich aus religiösen Gründen einer Kollektivverfolgung unterlagen. Die Klägerseite machte einen Anspruch auf Rückübertragung geltend, weil die Nationalsozialisten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags zwischen dem Alteigentümer und der Stadt Berlin über das Grundstück im Jahre 1937 die Zerschlagung der Bekennenden Kirche in ihrer Gesamtheit beabsichtigten. Die Kläger hatten vorgebracht, dass es sich bei der Bekennenden Kirche um eine im Verhältnis zur Gesamtzahl der Protestanten im Deutschen Reich kleine Gruppierung gehandelt habe, deren Mitglieder sich dazu verpflichtet hatten, durch ihr Bekenntnis zum unverfälschten Evangelium das Bestreben des NS-Regimes zu bekämpfen, den Nationalsozialismus als neue Religion mit Adolf Hitler als neuen Erlöser einzusetzen. Die Klägerseite war der Meinung, dass die Bekennende Kirche damit in ihrer Gesamtheit aus Sicht der Nationalsozialisten zu den wichtigsten Weltanschauungsgegnern zählte. Der nationalsozialistische Staat habe gegenüber der Bekennenden Kirche nicht nur zum Mittel der Finanzaufsicht gegriffen, sondern die Ausbildung und Ordination von Pfarrern sowie die Publikation oder Kanzelabkündigung von kirchenpolitischen Äußerungen und von Beschlüssen der Bekenntnissynoden verboten. Der Bekennenden Kirche sei es daher nur noch durch illegale Verbreitung von Flugblättern und Schriften möglich gewesen, gegen die antichristlichen Bestrebungen des nationalsozialistischen Regimes anzugehen; die Verfasser, Austräger und Verleger dieser Schriften seien verfolgt worden.

Das Verwaltungsgericht Potsdam hatte die Klage bereits mit Urteil vom 07.11.2013, Az. 1 K 2032/08, abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte das Urteil allerdings mit Beschluss vom 18.12.2014, Az. 8 B 55/14 wieder aufgehoben, die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen und angeregt, ein Sachverständigengutachten zur Frage der Kollektivverfolgung der Bekennenden Kirche durch den nationalsozialistischen Staat einzuholen. Dem ist das Verwaltungsgericht nun nachgekommen, es hat die Klage allerdings erneut abgewiesen. Denn das eingeholte Gutachten komme zu dem Ergebnis, dass in der historischen Forschung weithin Einigkeit bestehe, dass die Bekennende Kirche keine Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime war, auch nicht in ihrem Selbstverständnis.

Das Verwaltungsgericht Potsdam führt in dem Urteil aus, dass die Bekennede Kirche eine theologisch motivierte Gegenbewegung zu den Deutschen Christen gewesen sei und in Teilen zur staatlichen Kirchenpolitik, ohne aber die NS-Ordnung grundlegend in Frage zu stellen. Nur Einzelpersonen hätten diese Politik des Schweigens durchbrochen. Zwar habe die Bekenntniskirche dem Regime als innenpolitischer Störfaktor gegolten. Wegen ihrer Größe, bedeutender Verflechtungen zu den gesellschaftlichen Funktionseliten und internationaler Solidarbeziehungen habe sie jedoch geduldet werden müssen. Aus der Wahrnehmung weltanschaulicher NS-Rigoristen als ein geistiges Hindernis auf dem langfristigen Weg der Durchsetzung totalitärer nationalsozialistischer Herrschaft sei keine Verfolgung sämtlicher Mitglieder gefolgt. Mitgliederverfolgung habe exponierte Theologen und Führungspersönlichkeiten im Zusammenhang mit konkreten Vorwürfen betroffen. Selbst unter diesen hätten einige die Zeit bis 1945 nahezu unbehelligt überstanden. Der Besitz einer Mitgliedskarte, der sogenannten Roten Karte, habe jedenfalls keine Verfolgungsmaßnahmen nach sich gezogen.

Nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten zur Verfolgungssituation der Bekennenden Kirche einschließlich ihrer Mitglieder sah das NS-Regime die einzelnen Mitglieder der Bekennenden Kirche nur dann als Hindernis an, wenn sie mit konkreten, als widerständig wahrgenommenen Handlungen auftraten, infolge derer sie dann individuell Verfolgungsmaßnahmen unterlagen. Eine konkrete Absicht des Ausschluss aller Mitglieder der Bekenntniskirche aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben des Reichs habe nicht vorgelegen. Selbst eine konsequente auf die Bekenntniskirche als Institution bezogene Verfolgung bzw. eine Absicht hierzu habe nicht vorgelegen. Das Gutachten komme zu dem Ergebnis, es sei im Dritten Reich hinsichtlich der Bekenntniskirche als organisierter Gemeinschaft aus innen- wie außenpolitischen Rücksichten und mit Blick auf die Erhaltung der vom Regime proklamierten Volksgemeinschaft zu keinem Zeitpunkt zur Absicht und Umsetzung einer konsequenten Verfolgung der Gemeinschaft (Verbot, vollständiger Entzug der finanziellen Mittel o. ä.) gekommen; erst recht gelte dies für sämtliche einfachen Mitglieder der Bekennenden Kirche.

Der Gutachter führe aus, dass die Bekennende Kirche selber sich nicht als politische Widerstandsbewegung verstanden habe und einen betont theologischen, am Bekenntnis und am Wort der Bibel orientierten Zugang zum Glauben propagiert habe. Aus Sicht des NS-Regimes hätten vor allem die zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche gespaltenen Landeskirchen (mit zumeist deutschchristlichen Kirchenleitungen und oppositioneller Bekenntniskirche), ein fortwährendes politisches Ärgernis dargestellt. Das NS-Regime habe in dem permanenten Streit eine ernsthafte Gefährdung der proklamierten Volksgemeinschaft gesehen. Es habe in der gesamten Zeit seines Bestehens hinsichtlich des „Ärgernisses“ der Bekennenden Kirche keine eindeutige und lineare Kirchenpolitik gefunden, kirchenpolitische Fragen seien vielmehr in tagespolitischer Taktik sowie mehrstimmig und uneindeutig behandelt worden. Bis zum Schluss habe keine Klarheit darüber bestanden, wie die religiöse Frage zu lösen sei. Radikale antichristliche und antikirchliche Ansätze hätten sich wohl auch vor dem Hintergrund, dass mindestens zwei Drittel aller Parteimitglieder zugleich Mitglieder einer der beiden großen christlichen Konfessionen waren, nicht durchgesetzt.

Zwar sei seit 1937, nach der Olympiade, der kirchenpolitische Kurs wieder spürbar verschärft worden, hinsichtlich der Bekennenden Kirche etwa durch das Verbot und die schärfere Ahndung von Kollektensammlungen der Bekenntniskirche, durch Einsetzung der Finanzabteilungen, durch ein Verbot der bekenntniskirchlichen Hochschulen, durch die Verhaftung Niemöllers in Berlin-Dahlem am 1. Juli 1937 und durch eine scharfes Vorgehen gegen die Initiatoren einer Gebetsliturgie anlässlich der sogenannten Sudetenkrise im September 1937. Jedoch sei die Bekennende Kirche auch dann eine zwar nicht erwünschte, aber nicht verbotene, also legale und letztlich geduldete kirchliche Gruppierung geblieben. Grundsätzlich habe zwar der Einfluss beider Konfessionen im Reich zurückgedrängt werden sollen; dies sei jedoch eine sehr langfristige religionspolitische Strategie gewesen, die nicht zeitnah umzusetzen war und die jedenfalls nach Kriegsausbruch auf eine spätere Zukunft, nämlich auf die Zeit nach einer siegreichen Beendigung des Krieges geschoben wurde.

Im Ergebnis habe Es im ‚Dritten Reich‘ keine allgemeine kollektive Verfolgung wegen bloßer Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche gegeben, wann immer Mitglieder der Bekennenden Kirche belangt worden seien, dann sei dies ausnahmslos deshalb geschehen, weil ihnen konkrete Taten wie z. B. politische Predigtworte, verbotene Versammlungen, regimekritische Publikationen oder unerwünschte Auslandsverbindungen zur Last gelegt worden seien. In der großen Mehrzahl habe es sich bei den Betroffenen um exponierte Bekenntnistheologen gehandelt, zumeist Pfarrer. Der Gutachter führt darüber hinaus aus, dass auch die Organisationsformen und Einrichtungen der Bekennenden Kirche nicht einer allgemeinen Verfolgung unterlegen hätten. Gottesdienste und Bibelstunden der Bekennenden Kirche hätten ebenso bis in die Kriegszeit fortgeführt werden können wie Bekenntnissynoden, wenn auch letztere unter restriktiven Bedingungen. Die größte überregionale Zeitschrift der gesamtdeutschen Bekennenden Kirche, die in Göttingen erscheinende Junge Kirche, sei immerhin bis zu ihrem Verbot im Jahr 1941 erschienen. Zu dieser Zeit hätte allerdings auch zahlreiche andere kirchliche Periodika ihr Erscheinen kriegsbedingt einstellen müssen. Die engen Verflechtungen von Bekennender Kirche mit der Deutsche Evangelischen Kirche, deren Teil sie war, hätten einer generellen Verfolgung entgegengestanden. Dies ändere nichts daran, dass die Bekennende Kirche durch innerkirchliche wie staatliche repressive Maßnahmen reguliert und sukzessive eingeschnürt worden sei. Diese Maßnahmen hätten sich aber auf das Spitzenpersonal der Bekennenden Kirche konzentriert, vor allem auf exponierte Bekenntnispfarrer wie Martin Niemöller und Martin Albertz sowie einige Universitätstheologen wie Karl Barth, die sich mit kritischen Predigten, Denkschriften und anderen Erklärungen nach außen wandten. Aber selbst insoweit sei das Vorgehen nicht konsequent gewesen, wie sich am Beispiel der Unterzeichner der Denkschrift an Hitler von Mai/Juni 1936 sehen lasse, die nicht belangt worden seien. Es ergebe sich also das Bild, dass nicht einmal alle Leitungsmitglieder der Bekennenden Kirche, geschweige denn sämtliche einfachen Mitglieder wegen ihrer Zugehörigkeit verfolgt worden seien. Allein der Umstand, Inhaber der sogenannten Roten Karte zu sein, habe keine Verfolgungskonsequenzen mit sich gebracht. Auch im Staatsdienst stehende Mitglieder, Beamte, Mediziner und Juristen hätten allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft keine Konsequenzen zu erleiden gehabt und hätten im Amt bleiben können. Eine – wohl eher vereinzelt vorkommende – gleichzeitige Mitgliedschaft von Laien in der NSDAP und in der Bekennenden Kirche habe im Konfliktfall, also bei einem besonderen Hervortreten als Mitglied der Bekennenden Kirche, eher nicht zu einer Schonung, sondern mitunter zu einem Parteiausschlussverfahren geführt.

Das Verwaltungsgeircht kommt auf der Grundlage der gutachterlichen Ausführungen in einer Gesamtschau zwar zu dem Befund, dass die Bekennende Kirche von Teilen der NSDAP durchaus als Hindernis für die Durchsetzung langfristig angelegter weltanschaulicher Ziele, nicht aber allgemein für die Durchsetzung des aktuell wirkenden nationalsozialistischen Totalitätsanspruchs wahrgenommen wurde. Jedenfalls wurde wegen innen- wie außenpolitischer Rücksichten und auch aufgrund einer uneinheitlichen Kirchenpolitik zu keinem Zeitpunkt die Absicht einer konsequenten repressiven Verfolgung der Bekennenden Kirche in ihrer Gesamtheit und im Speziellen aller ihrer einzelnen Mitglieder gefasst. Die Umsetzung einzelner repressiver Maßnahmen, die die Finanzierung und die Pfarrerausbildung sowie die Verfolgung einzelner hervorgetretener Pfarrer und Hochschullehrer betrafen, begründen nicht einmal ohne Weiteres die Annahme einer konsequenten Verfolgung der Bekennenden Kirche als organisierter Gemeinschaft. Hinsichtlich eines Willens, die einfachen Mitglieder vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen, kommt diesem staatlichen Vorgehen keine Aussagekraft zu. Das Regime habe zwar in der Bekennenden Kirche frühzeitig einen Feind erkannt und dass die Praxis der Vorladungen und Verhöre bei der Gestapo habe sich nicht nur gegen Pfarrer sondern auch gegen eine Vielzahl von aktiven Mitgliedern von Gemeinden gerichtet und die Haft und Verfolgung u. a. nach dem Heimtückegesetz habe der Abschreckung der Gemeindemitglieder gedient. Eine Kollektivverfolgung der Bekennenden Kirche in ihrer Gesamtheit, einschließlich aller ihrer Mitglieder, oder des Personenkreises der Mitglieder der Bekennenden Kirche in ihrer Gesamtheit im Sinne einer kulturellen und wirtschaftlichen Ausschließungsabsicht scheide aber aus.

Fundstellen: Verwaltungsgericht Potsdam, Urteil vom 23.10.2019, Az. 2 K 132/15; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.12.2014, Az. 8 B 55/14