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Rückforderung der Haftentschädigung für DDR-Unrecht bei angeblichem Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit

Opfer rechtsstaatswidriger Freiheitsentziehung in der DDR können die diesbezüglichen Haftbefehle, Strafurteile oder Heimeinweisungen nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) aufheben lassen. Wurde die entsprechende DDR-Entscheidung für rechtsstaatswidrig erklärt und damit eine symbolische Rehabilitierung ausgesprochen, kann der Betroffene Folgeleistungen beantragen. Unter gewissen Voraussetzungen hat der Betroffene einen Anspruch auf Haftentschädigungen oder die monatliche Opferrente (sogenannte Opferpension).

Diese Folgeleistungen kann der Staat aber ablehnen oder -falls sie bereits bewilligt und gezahlt worden sind- zurückfordern, wenn ein Ausschlussgrund vorliegt. Ein Grund für die Rückforderung ist laut dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, dass der Betroffene selbst gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen hat. Mit dieser gesetzlichen Regelung sollten z. B. diejenigen von den Entschädigungsleistungen ausgeschlossen werden, die selbst als inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi andere bespitzelt und der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt haben.

Teilweise werden die Anträge von DDR-Opfern auf Folgeleistungen aber leider ohne jede weitere Einzelfallprüfung abgelehnt, wenn nur geringe Verdachtsmomente vorliegen. So werden Entschädigungsanträge von den zuständigen Behörden mitunter bereits dann abgelehnt, wenn der Betroffene von der Stasi oder der Volkspolizei als geheimer, inoffizieller Mitarbeiter geführt wurde oder auch nur ein irgendwie angedeutetes Zusammenwirken erkennbar wird. Das entspricht aber nicht der Gesetzeslage. Die reine Verpflichtung als IM reicht nach herrschender Meinung nicht aus, um Opfern von DDR-Unrecht Entschädigungsleistungen zu entziehen. Das Kammergericht hat jetzt durch Beschluss vom 25.07.2017, Az. 4 Ws 74/17 REHA, über einen Fall der Rückforderung von Entschädigungszahlungen entschieden und die einzelnen Prüfungspunkte und den anzulegenden Prüfungsmaßstab deutlich herausgearbeitet.

In dem von mir für den Antragsteller geführten Verfahren ging es um einen ehemaligen Mitarbeiter des Studios für Unterhaltungskunst. Wer bei diesem Studio z. B. als externer Mitarbeiter aufgenommen worden war, konnte auch in der DDR bestimmte, fachspezifische Westdruckerzeugnissen per Post erhalten. Diese Sondergenehmigung wurde Sammlern erteilt, von denen erwartet wurde, dass sie im Sinne der SED-Kulturpolitik publizieren würden und konnte bei nicht systemkonformen Verhalten wieder entzogen werden. Der Betroffene war vor seiner Tätigkeit im Studio für Unterhaltungskunst im Jahr 1962 wegen versuchter Republikflucht zu einer Haftstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden. Er hat die Haft unter verschärften Bedingungen verbüßt und leidet noch heute gesundheitlich unter den damaligen Haftbedingungen. Die DDR-Verurteilung wegen der versuchten Republikflucht war vom Landgericht aufgehoben und der Betroffene für die Haft rehabilitiert worden. Als Entschädigung für die Haftzeit hatte er eine Entschädigung in Höhe von 6.600,00 DM (3.374,53 €) erhalten. Später im Jahr 2013 stellte er den Antrag auf Anerkennung der durch die Haft verursachten Gesundheitsschäden. Im Rahmen dieses Antrages prüfte die in Berlin zuständige Behörde, das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), nicht etwa die Voraussetzungen des Anspruches, sondern ging zunächst der Frage nach, ob Ausschlussgründe vorliegen. Mittlerweile waren bei der Stasi-Unterlagenbehörde neue Dokumente aufgetaucht, in denen der Antragsteller erwähnt wurde.

Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Sammler, der die Sondergenehmigung für in der DDR verbotene Zwecke genutzt haben soll, wurde der Betroffene von Stasi-Mitarbeitern befragt und aufgefordert, eine Liste mit Namen der Antragsteller auf eine Ausnahmegenehmigung zu erstellen. Es sind zwei Treffen der Stasi-Leute mit meinem Mandanten belegt, beim ersten Treffen gaben sich die Stasi-Leute zunächst als Mitarbeiter des Ministeriums für Inneres aus. Beim zweiten Treffen soll der Betroffene eine Liste der Antragsteller für die Sondergenehmigung übergeben haben. Er soll über die Funktionsweise des Studios berichtet haben, darüber dass die Sammler auch in westdeutschen Zeitschriften publizierten und es toleriert wurde, dass sich die Sammler in Ausnahmefällen über die damalige Tschechoslowakei oder Polen das gewünschte Material zusenden lassen konnten. Zudem findet sich in den Stasi-Akten eine Verschwiegenheitserklärung meines Mandanten bezüglich dieser Treffen.

Die Behörde sah darin einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit, weil der Betroffene Berichte und personenbezogene Informationen geliefert habe, die andere in die Gefahr der Verfolgung gebracht hätten. Es sei ausreichend, dass man zum Zeitpunkt der Preisgabe der Informationen an die Sicherheitsbehörden damit rechnen musste, dass Dritten Schaden entstehen könnte.

Der gegen den Rückforderungsbescheid eingelegte Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde vom Landgericht Berlin abgelehnt. Das Landgericht folgte dabei im Wesentlichen dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in der Argumentation. Den Vortrag des Betroffenen, dass er nur der Stasi bereits bekannte Informationen geliefert habe, eine Gefährdung Dritter durch seine Einlassungen also ausgeschlossen war und er sich einer über die Befragung hinausgehenden Zusammenarbeit widersetzt habe, ließ das Landgericht nicht gelten. Der Vortrag sei zu unsubstantiiert und spekulativ. Der Übersendungsbericht der Stasi-Unterlagenbehörde stütze den Vortrag zudem nicht.

Das Kammergericht hob dagegen auf die von mir für den Betroffenen eingelegte Beschwerde den Rückforderungsbescheid und den Beschluss des Landgerichts Berlin wieder auf. Das Kammergericht erläutert in dem Beschluss vom 25.08.2017 ausführlich die rechtlichen Voraussetzungen einer Rückforderung der Kapitalentschädigung für Opfer der SED-Diktatur.

Voraussetzung für den Leistungsausschluss ist demnach, dass der Betroffene selbst zum Täter geworden sein muss. Nicht jede unbedeutende Verstrickung in das politische System hat einen Leistungsausschluss zur Folge. Die reine Erfassung als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) reicht dafür ohne weitere schwerwiegende Vorwürfe nicht aus. Es muss vielmehr ein erhebliches gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßendes Verhalten nachweisbar sein, dass einen Bezug zum System der DDR aufweist und geeignet war, das SED-Unrechtsregime aufrechtzuerhalten. Die Intensität oder die Auswirkungen der Zusammenarbeit mit den entsprechenden DDR-Sicherheitsorganen müssen in einem Maß als verwerflich anzusehen sein, dass sie die durch die rechtsstaatswidrige Haft erlittenen, eigenen Schäden eindeutig überwiegen. Der Ausschlussgrund ist an sich für Personen gedacht, die freiwillig und gezielt, aus eigenem Antrieb und durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und durch Missbrauch persönlichen Vertrauens Informationen über Mitbürger gesammelt haben und diese an die Staatssicherheit weitergegeben haben. Es genügt, dass sich jemand freiwillig als Denunziant oder Spitzel betätigte, um hieraus eigene Vorteile zu erlangen. In jedem Einzelfall ist eine sorgfältige Abwägung zwischen der Verwerflichkeit des Handelns und dem Ausmaß des demjenigen selbst zugefügten Unrechts andererseits erforderlich, wobei danach gefragt werden muss, ob der Betroffene mit seinem Verhalten die Aufrechterhaltung des SED-Unrechtsregimes bezweckt hat oder nicht.

Die tatsächlichen Grundlagen der Voraussetzungen des Ausschlussgrundes müssen von der Behörde bewiesen werden, bloße Wahrscheinlichkeiten oder Vermutungen reichen nicht aus. Bei Nichtaufklärbarkeit trägt die Behörde nach dem verwaltungsrechtlichen Normbegünstigungsprinzip die Beweislast.

Nach diesen Maßstäben erweist sich die Argumentation des LaGeSo und des Landgerichts im vorliegenden Fall als nicht tragfähig. Es fehlt an einer sorgfältigen einzelfallbezogenen Prüfung, eine floskelhafte Begründung ohne Erörterung sich aufdrängender aktenkundiger Umstände lassen nach dem Beschluss des Kammergerichts im vorliegenden Fall insgesamt Zweifel am Vorliegen einer ordnungsgemäßen Justizgewährung aufkommen.

Im Einzelnen führt das Kammergericht aus, dass aus der Übergabe einer Liste mit (abgelehnten) Bewerbern um eine Sondergenehmigung im Arbeitskreis für Dokumentation der Unterhaltungskunst oder dem Zentralen Studio für Unterhaltungskunst keine Handlung im oben beschriebenen Sinne darstellt. Denn es liegt fern, dass die Benennung der abgelehnten Bewerber um eine Sondererlaubnis diese einer konkreten Gefahr ausgesetzt haben oder eine bereits bestehende Gefahr verstärkt haben könnten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass die Bewerber der Stasi aufgrund dessen Einbindung in den Überprüfungs-, Auswahl- und Entscheidungsprozess in das Genehmigungsverfahren ohnehin bekannt waren. Zudem hätte die Stasi diese Liste vom Zentralen Studio auch ohne die Hilfe des Betroffenen  Problem anfordern können.

Das Kammergericht stellt klar, dass die Behörden nicht mit einer generell-abstrakten Eignung einer gegebenen Information argumentieren dürfen, sondern zunächst nachzuweisen haben, dass die Tätigkeit des Stasi-Zuträgers im konkreten Fall grundsätzlich geeignet war, den Denunzierten ernsthaft in die Gefahr repressiverer staatlicher Maßnahmen zu bringen und das SED-Regime aufrecht zu erhalten. Im vorliegenden Fall hat das Kammgericht bereits den objektiven Tatbestand verneint. Daneben sind aber auch die subjektiven Voraussetzungen nicht gegeben, um eine Erstattung der Entschädigungszahlungen zu rechtfertigen. Der Betroffene suchte nicht eigeninitiativ den Kontakt mit der Stasi. Die Stasi verschleierte den Termin vielmehr zunächst als eine polizeiliche Untersuchungsmaßnahme. Der Betroffene befand sich in einer Verteidigungsposition, die es verständlich erscheinen lässt, dass der Betroffene eine gewisse Kooperationsbereitschaft gegenüber der Stasi signalisieren musste.

Weiter führt das Kammergericht aus, dass die vom Betroffenen gegebenen Informationen unverfänglich waren und in keiner Weise die Annahme eines Ausschlussgrundes rechtfertigen. Der Betroffene hatte nur über den allgemein bekannten Umstand berichtet, dass die Inhaber der Sondergenehmigungen auch in Westfachmedien publizierten, was allerdings von diesen staatlicherseits auch erwartet wurde. Die Benennung einzelner Autorennamen sei insoweit für diese alles andere als gefährlich gewesen, zumal der Betroffene gegenüber der Stasi betont hat, dass es bezüglich der Artikel nur fachliche Probleme aber keine feindlichen gegen die DDR gerichtete Inhalte gegeben habe.

Auch der Hinweis des Betroffenen, dass die Inhaber einer Sondergenehmigung die Möglichkeit haben, sich über Polen und die damalige CSSR die Westmedien schicken zu lassen, stellt keine Aussage dar, die einen anderen in die konkrete Gefahr staatlicher Verfolgung gebracht haben könnte. Der Betroffene habe nur eine Person benannt, gegen die bereits ein abgeschlossenes Ermittlungsverfahren wegen des Missbrauchs der Sondergenehmigung geführt worden war. Dieses Ermittlungsverfahren war der Anlass, weshalb die Stasi-Mitarbeiter den Betroffenen überhaupt aufgesucht hatten, so dass der Betroffene nicht vorwerfbar hätte annehmen müssen, dass sein Hinweis zu einer weiteren Gefährdung des Benannten führen würde. Zudem hätte sich der Betroffene als Leiter des Zentralen Studios selbst Vorwürfen ausgesetzt, wenn er den Ermittlungsbehörden neue Verfehlungen von Inhabern der Sondergenehmigung mitgeteilt hätte. Die rechtlich notwendige, abschließende Abwägung der Verwerflichkeit des eigenen Handelns und dem Ausmaß diesem zugefügten Unrechts sei zudem vom Landgericht gar nicht erst vorgenommen worden, bei der wäre aber zu berücksichtigen gewesen, dass der Betroffene den Anwerbeversuch mit der Stasi letztendlich abgelehnt hat.

Fundstellen: Kammergericht, Beschluss vom 25.07.2017, Az. 4 Ws 74/17 REHA

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