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Das Land Berlin hat eine Rechtsverordnung zur Neuregelung der angemessenen Höhe der Miete von Hartz-IV-Beziehern erlassen. Das war deshalb notwendig, weil das Gesetz in § 22 SGB II lediglich geregelt, dass die Jobcenter Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen übernehmen müssen, soweit diese angemessen sind. Bisher wurde die konkrete Mietobergrenze, die die Berliner Jobcenter zu übernehmen bereit waren, in der Verwaltungsvorschrift AV-Wohnen geregelt. Diese hatte das Bundessozialgericht bereits mit Urteil vom 19.10.2010, Az. B 14 AS 50/10 R, für nicht rechtsverbindlich erklärt (vgl. Blogartikel vom 17.01.2012 „Sozialrechtliche Bilanz 2011“). Dennoch wurden diese Richtwerte von den Berliner Jobcentern weiter angewendet, teilweise wurden mit der AV-Wohnen sogar Aufforderungen die Wohnung zu wechseln begründet (vgl. Blogartikel vom 07.03.2012 „Zahl der Zwangsumzüge von Arbeitslosengeldempfängern seit 2009 verdoppelt“). Die neue Rechtsverordnung sieht nun Steigerungen der Mietobergrenzen vor, die Richtwerte lauten generell für einen 1-Personenhaushalt 394,00 €, für einen 2-Personenhaushalt 472,50 €, für einen 3-Personenhaushalt 578,00 €, für einen 4-Personenhaushalt 665,00 € und für einen 5-Personenhaushalt 766,00 €. Laut Pressemitteilung des Berliner Senats vom 03.04.2012 sollen die Richtwerte an den Berliner Mietspiegel gekoppelt werden. Hinsichtlich der Heizkosten soll nach dem verwendeten Energieträger (Heizöl/Erdgas/Fernwärme) und hinsichtlich der Wohnungsgröße differenziert werden. Aller Voraussicht nach sollen die neuen Werte ab dem 01.05.2012 gelten. Den Wortlaut der neuen Verordnung können Sie hier nachlesen, die konkreten Mietrichtwerte ergeben sich aus der Anlage 2 zu § 4 der Verordnung.

Fundstellen: Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Wohnaufwendungenverordnung – WAV) vom 03. April 2012, Anlage 2 zu § 4 der Verordnung; Pressemitteilung des Berliner Senats vom 03.04.2012; Allgemeine Informationen zum Sozialrecht

Auch 2011 wurden zahlreiche Empfänger von Arbeitslosengeld II von den Berliner Jobcentern mit der Begründung zum Umzug aufgefordert, dass deren Wohnkosten unangemessen hoch seien. Die Berliner Jobcenter richten sich dabei zumeist nach den Ausführungsvorschriften zur Gewährleistung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 29 und 34 SGB XII (AV-Wohnen). Danach soll für einen 2-Personen-Haushalt beispielsweise eine maximale Bruttowarmmiete von 444,00 € angemessen sein. Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen sind dabei bereits Bestandteil der Bruttowarmmiete. Das Jobcenter übernimmt bei einem Überschreiten der Richtwerte die Miete regelmäßig nicht länger als 6 Monate, danach fordert es die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf, die Wohnung zur Kostenreduzierung zu wechseln. Die Mietkosten werden dann regelmäßig nur noch in Höhe der Richtwerte der AV-Wohnen übernommen, was zur Folge haben kann, dass es den betroffenen Arbeitslosengeldempfängern an den nötigen Mitteln fehlt, die laufende Miete zu begleichen. In der Folge kann entsprechend zur Anhäufung von Mietschulden und dem Ausspruch von Kündigungen durch die Vermieter wegen Zahlungsverzuges kommen. Gerade die folgenden Räumungsklagen können für die bedürftigen Mieter dann durchaus äußerst kostspielig enden. Daran hat selbst das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.10.2010, Az. B 14 AS 50/10 R, nichts Grundlegendes ändern können, darin stellte das Bundessozialgericht fest, dass hinsichtlich der Richtwerte der AV-Wohnen ein schlüssiges Konzept zu deren Berechnung nicht erkennbar sei. Zudem sei die AV-Wohnen als Verwaltungsvorschrift in Bezug auf die betroffenen Arbeitslosen ohnehin nicht rechtsverbindlich (vgl. „Sozialrechtliche Bilanz 2011“ vom 17.01.2012).

Laut der Antwort der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales auf die kleine Anfrage der Abgeordneten, Frau Elke Breitenbach und Frau Kathrin Lompscher (beide „Die Linke“), vom 23.01.2012 erhielten in Berlin im Jahr 2011 durchschnittlich 99.148 Bedarfsgemeinschaften Leistungen für Unterkunft und Heizung (KdU) oberhalb der Richtwerte der Ausführungsvorschrift Wohnen (AV-Wohnen). Die meisten davon leben im Bezirk Mitte (14.027). Zu bedenken ist dabei, dass einer Bedarfsgemeinschaft zahlreiche Personen angehören können. Von den 99.148 Bedarfsgemeinschaften wurden 2011 insgesamt 65.511 aufgefordert die Wohnungskosten zu senken. Die Zahl der Zwangsumzüge stieg von 428 im Jahr 2009 auf 1.313 im Jahr 2011. Dabei werden allerdings nur die Umzüge innerhalb eines Bezirks erfasst, nicht die Umzüge über die Bezirksgrenzen hinaus. Die tatsächliche Anzahl der Zwangsumzüge dürfte daher noch deutlich höher liegen. Das erstaunt auch kau, da die Richtwerte seit 2005 trotz steigender Mieten kaum angepasst wurden. Die Senatsverwaltung hat nun immerhin angekündigt, im ersten Halbjahr 2012 eine rechtsverbindliche Rechtsverordnung zur Bestimmung der angemessenen Höhe der Wohnkosten zu beschließen.

Fundstellen: Antwort der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales auf die kleine Anfrage vom 23.01.2012, Drucksache Nr. 17/10149; Ausführungsvorschriften zur Gewährleistung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 29 und 34 SGB XII (AV-Wohnen) vom 10.02.2009; Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2010, Az. B 14 AS 50/10 R; Allgemeine Informationen zum Sozialrecht

Das größte Sozialgericht Deutschlands, das Sozialgericht Berlin, hat am 11.01.2012 Bilanz über das vergangene Jahr 2011 gezogen. 2011 gingen dort (im 12 Minuten Takt) insgesamt 43.832 neue Verfahren ein, damit ist ein geringer Rückgang im Vergleich zum Jahr 2010 zu verzeichnen. 30732 Klagen waren dabei dem Komplex „Hartz IV“ zuzurechnen. (vgl. Graphik). Die Hartz-IV-Verfahren machen einen Anteil von zirka 70 % der gesamten Verfahren aus (vgl. Graphik). Im Vergleich zum Jahr 2004 ist die Anzahl der jährlich eingereichten Klagen und Verfahren um 24235 Verfahren gestiegen (vgl. Graphik). Die Präsidentin des Sozialgerichts Berlin führt insoweit aus: „Kein Kläger bläst zum Sturm auf unser Sozialsystem. Kaum einer prozessiert aus Prinzip.“ Die vier Hauptursachen der Klagen seien vielmehr folgende: Kosten der Unterkunft, Anrechnung von Einkommen auf Leistungen, Leistungskürzungen aufgrund von Sanktionen und die Verletzung gesetzlicher Bearbeitungsfristen durch die Jobcenter. Gerade bei den Unterkunftskosten entzündet sich oft der Rechtsstreit an der Tabelle der Jobcenter nach der Verwaltungsvorschrift „AV-Wohnen“, denn diese hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 50/10 R, für rechtswidrig erklärt. Neue rechtmäßige Mietgrenzwerte sind aber  seitdem (in Berlin) vom Gesetzgeber nicht festgelegt worden. Die Erfolgsquote der Verfahren beim Sozialgericht blieb auch 2011 bei 54 % unverändert hoch. Ein Verfahren dauert beim Sozialgericht Berlin durchschnittlich 12 Monate. Dennoch ist ein Aktenstau von 40.210 unerledigter Verfahren mittlerweile angefallen (vgl. Graphik).

Bedenkt man, dass auch viele Widerspruchsverfahren Erfolg haben, dann ist die hohe Erfolgsquote ebenso beachtlich wie die Fehleranfälligkeit von Bescheiden der Agentur für Arbeit bzw. der Jobcenter. Bei der durchschnittlichen Verfahrensdauer hat das Sozialgericht allerdings offensichtlich die vielen Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz mitgerechnet, die sich nach wenigen Tagen bzw. Wochen erledigen, welche den Durchschnitt deutlich gedrückt haben dürften. Insgesamt kann es sich durchaus lohnen, seinen Bescheid fachkundig überprüfen zu lassen.

Fundstellen: Sozialgericht Berlin, Presseerklärung vom 11.01.2012; Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 50/10 R; Allgemeine Informationen zum Sozialrecht

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