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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat erneut mit Beschluss vom 16. August 2012, Az. 5 StR 238/12 ein Urteil des Landgerichts Berlin in dem Verfahren gegen einen Berliner Schönheitschirurgen aufgehoben. Nach einer vom Angeklagten durchgeführten Operation im Jahr 2006 war die Patientin wegen einer Hirnschädigung verstorben. Der Schönheitschirurg hat es dabei u. a. unterlassen einen Anästhesisten beizuziehen und die Patientin nach Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes rechtzeitig auf eine Intensivstation zu verlegen. Die Patientin verstarb in Folge der vom Angeklagten durchgeführten Operation zur Bauchdeckenstraffung, Fettabsaugung, der Entfernung einer Blinddarmoperationsnarbe und der Versetzung des Bauchnabels. Der Arzt hatte laut Urteil des Landgerichtes der Patientin wahrheitswidrig zugesichert, dass ein Anästhesist an der Operation teilnehmen würde. Während des ärztlichen Eingriffs traten dann Komplikationen in der Form eines Herz-Kreislauf-Stillstandes auf, weshalb der Chirurg mit Reanimierungsmaßnahmen begann. Anschließend stabilisierten sich die Vitalwerte der Patientin wieder. Trotz des kritischen Gesundheitszustandes der Patientin veranlasste der Angeklagte nicht unverzüglich, dass die Patientin auf die Intensivstation eine Krankenhauses eingeliefert wurde, sondern führte zunächst seine Sprechstunde nach der Operation normal weiter, erst nachdem einige Stunden vergangen waren und die Patientin immer noch nicht aus der Narkose aufgewacht war, veranlasste der Angeklagte die Einlieferung in ein Krankenhaus, allerdings ohne dem Krankenhauspersonal von dem eingetretenen Herzstillstand und den von ihm verabreichten Medikamenten zu berichten. Die Patientin erwachte nicht wieder aus der Narkose und verstarb noch im Krankenhaus an den Folgen einer globalen Hirnsubstanzerweichung, die durch eine Sauerstoffunterversorgung des Gehirns ausgelöst worden war.

Das Landgericht Berlin verurteilte den angeklagten Arzt mit Urteil vom 01.03.2010, Az. 1 Kap Js 721/06 Ks,  wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, zusätzlich verhängte es ein vierjähriges Berufsverbot und erklärte ein Jahr der verhängten Freiheitsstrafe wegen überlanger Verfahrensdauer für bereits vollstreckt. Das Landgericht Berlin stellte u. a. fest, dass die Patientin bei einer sofortigen Verlegung in ein Krankenhaus nach der Reanimation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt, zumindest eine nicht unerhebliche Zeit länger gelebt hätte.

Dieses Urteil hob der BGH wegen der unzureichenden Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes einerseits  und des versuchten Mordes durch Unterlassen andererseits auf. Das Landgericht habe das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes nur mit lückenhaften, die Feststellungen zum Handlungsablauf und zur Interessenlage nicht erschöpfenden Erwägungen belegt. Die Strafzumessung und den Strafnachlass im Urteil des Landgerichts Berlin waren darüber hinaus fehlerhaft. Deshalb verwies der BGH das Urteil an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin zurück.

Das Landgericht Berlin verurteilte den Arzt nun mit Urteil vom 16.12.2011, Az. (540) 1 Kap Js 721/06 Ks (12/11), wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Mord (durch Unterlassen) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten und einem Berufsverbot von 5 Jahren. Eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention versagte das Gericht im Gegensatz zum ersten Urteil dieses Mal.

Auch dieses Urteil des Landgerichts Berlin hob der BGH nun mit Beschluss vom 16.08.2012 wegen erneuter Mängel in der Beweiswürdigung auf, der Angeklagte sei laut dem Beschluss allein der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig. Das Landgericht Berlin muss nun zum dritten Mal über die Strafhöhe und die Länge des Berufsverbots verhandeln. Das Berufsverbot darf dabei wegen des Verschlechterungsverbotes nicht über vier Jahren liegen. Eine Kompensation für die lange Verfahrensdauer wird es dieses Mal mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht geben. Nach den vom BGH im Beschluss vom 16.08.2012 gegebenen Hinweisen, dürfte eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu erwarten sein, wobei die Annahme eines minderschweren Falles, wie sie das Landgerichts Berlin im ersten aufgehobenen Urteil noch angenommen hat, unwahrscheinlich sein dürfte.

Fundstellen: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2012, Az. 5 StR 238/12, Pressemitteilung Nr. 140/12;  Urteil vom 07.07.2011, Az. 5 StR 561/10; Pressemitteilung Nr. 125/2011

Das Landgericht Berlin (LG) gab laut Pressemitteilung (PM 21/2012) am 29.03.2012 bekannt, dass im Verfahren wegen einer tödlichen Verfolgungsjagd am U-Bahnhof Kaiserdamm ein Angeklagter wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu 2 Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung und ein weiterer Täter wegen gefährlicher Körperverletzung zu 4 Monaten Freiheitsstrafe ebenfalls auf Bewährung verurteilt worden sind. Sie sollen zwei Passanten in der U-Bahnstation ohne Anlass mit den Fäusten geschlagen haben, einen der Passanten soll einer der Angeklagten nach draußen verfolgt haben, wo der Passant auf der Flucht von einem Auto erfasst worden sein soll und schließlich an den Verletzungen des Autounfalls verstorben sein soll.

Einen Berliner Autobrandstifter hat das Landgericht Berlin hingegen laut Pressemitteilung vom 03.04.2012 (PM 23/2012) u. a. wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren (ohne Bewährung) verurteilt, er soll u. a. mindestens 80 Fahrzeuge in Brand gesteckt haben, wobei ein hoher Sachschaden entstanden sein soll. Menschen wurden durch die Brände offensichtlich nicht in ihrer Gesundheit beeinträchtigt. Laut Presseerklärung des Landgerichts vom 03.04.2012 wäre ein Tatnachweis ohne das Geständnis des Angeklagten in keinem Fall möglich gewesen. Der Angeklagte hat das harte Urteil offenbar akzeptiert und auf Rechtsmittel verzichtet.

Die Strafhöhe beider Urteile unterschiedlicher Kammern des Landgerichts Berlin dürfte in Berlin für Diskussionen sorgen, insbesondere erscheint es doch einiger Maßen erstaunlich, dass trotz Geständnisses des verurteilten Autobrandstifters eine deutlich höhere Strafe als bei Körperverletzung mit Todesfolge verhängt wurde. Die Verhängung der hohen Freiheitsstrafe für den verurteilten Autobrandstifter begründete die vorsitzende Richterin der großen Strafkammer laut Medienberichten (u. a.  Artikel der Berliner Morgenpost vom 04.04.2012: „Gezündelt, um den Frust abzubauen“) auch damit, dass durch die hohe Strafhöhe eine abschreckende Wirkung auf potentielle andere Täter erzielt werden soll. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den Hinweis, dass die Höhe einer Haftstrafe keinerlei statistisch signifikante abschreckende Wirkung entfaltet. Eine abschreckende Wirkung einer besonders hohen Haftstrafe ist wissenschaftlich nicht feststellbar. Auch in der Untersuchung des australischen NSW Bureau of Crime Statistics and Research mit dem Titel „The effect of arrest and imprisonment on crime“ von Wai-Yin Wan, Steve Mofatt, Craig Jones und Don Weatherburn wurde diese Erkenntnis erst kürzlich erneut untermauert. Sie haben u. a. den Effekt der Haftdauer auf die Kriminalitätsraten in New South Wales in Australien quantitativ analysiert.

Fundstellen: Landgericht Berlin, Urteil vom 29. 03.2012, Az. (535) 234 Js 4622/11 (13/11), Pressemitteilung 21/2012 und Urteil vom 03.04.2012, Az. (517) 222 Js 3531/11 (4/12), Pressemitteilung 23/2012; „The effect of arrest and imprisonment on crime“ von Wai-Yin Wan, Steve Mofatt, Craig Jones und Don Weatherburn in der Zeitschrift Contemporary Issues in Crime and Justice, Nr. 158, Februar 2012

Herr Prof. Dr. Claudius Ohder hat eine neue Studie über Intensivtäter in Berlin veröffentlicht. Der Verfasser ist Professur für Kriminologie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin (HWR Berlin). Intensivtäter werden in Berlin wie folgt definiert: „Intensivtäter sind Straftäter, die verdächtig sind, entweder den Rechtsfrieden besonders störende Straftaten, wie z.B. Raub, Rohheits- und / oder Eigentumsdelikte in besonderen Fällen, begangen zu haben oder innerhalb eines Jahres in mindestens zehn Fällen Straftaten von einigem Gewicht begangen zu haben und bei denen die Gefahr einer sich verfestigenden kriminellen Karriere besteht.“ Der Verfasser hatte bereits im Jahr 2006 den ersten Teil einer analysierenden Beschreibung des Intensivtäterproblems in Berlin anhand der staatsanwaltlichen Akten veröffentlicht (vgl. „Intensivtäter – Teil I – Ergebnisse der Analyse von „Intensivtäterakten“ der Staatsanwaltschaft Berlin“). Dabei ging es dem Autor darum, „Erkenntnisse zu den biographischen und sozialen Hintergründen dieser Straftätergruppe sowie den Kriminalisierungsprozessen zu gewinnen.“ Im Jahr 2008 folgte der zweite Teil der Studie, dieses Mal wurde die eigene Sichtweise der Intensivtäter anhand von Interviews mit 27 jugendlichen Delinquenten beleuchtet. Außerdem wurde der gesamte Schulverlauf der sogenannten Intensivtäter in diesem Teil der Studie berücksichtigt (vgl. „Intensivtäter in Berlin – Teil II – Ergebnisse der Befragung von „Intensivtätern“ sowie der Auswertung ihrer Schulakten“). Nunmehr liegt Teil III der Studie im Volltext vor, darin werden die Haftverläufe von 30 jugendlichen Tätern, die wegen schwerer Jugendgewaltdelikte zu Jugendstrafen verurteilt worden sind, mit Hilfe von Interviews und der Analyse der Strafvollstreckungsakten untersucht (vgl. „Intensivtäter in Berlin – Teil III – Haftverläufe und Ausblicke auf die Legalbewährung junger Mehrfachtäter“). Der Verfasser wollte ursprünglich die Jugendlichen in ihrer Bewährungszeit begleiten, die Strafen der meisten Inhaftierten wurden jedoch nicht nach einer gewissen Haftverbüßungsdauer zur Bewährung ausgesetzt. Die meisten Intensivtäter mussten die ihre Haft komplett verbüßen. Daher wird in dem dritten Teil der Studie nun die Entwicklung im Jugendstrafvollzug nachgezeichnet. Die Studie arbeitet dabei als zentrale Ergebnisse eine Reihe von systematischen, konzeptionellen und operativen Problemen heraus, an denen angesetzt werden kann, um die Perspektive auf ein zukünftig, straffreies Leben der jugendlichen Delinquenten zu verbessern. Die Untersuchungshaft sollte nach der Studie z. B. möglichst kurz gehalten werden. Der ausländerrechtliche Status der Jugendlichen sollte nicht ungeklärt bleiben, Subkulturen der Gefangenen können nach der Studie neben negativen auch entlastende Funktionen haben. Von der Jugendvollzugsanstalt verhängte Sanktionen können darüber hinaus kontraproduktiv wirken, insbesondere dann wenn die Inhaftierten dadurch von Vollzuglockerungen ausgeschlossen werden. Das Handyverbot in der Vollzugsanstalt behindert die stabile Entwicklung der Jugendlichen, da diese von ihren sozialen Netzwerken ausgeschlossen werden. Eine vorhandene Drogenproblematik werde zudem nicht ausreichend beachtet.

Fundstellen: „Intensivtäter in Berlin- Teil III – Haftverläufe und Ausblicke auf die Legalbewährung junger Mehrfachtäter“ von Prof. Dr. Claudius Ohder, Berlin 2012; „Intensivtäter in Berlin – Teil II – Ergebnisse der Befragung von „Intensivtätern“ sowie der Auswertung ihrer Schulakten“  von Prof. Dr. Claudius Ohder, Berlin 2008; „Intensivtäter – Teil I – Ergebnisse der Analyse von „Intensivtäterakten“ der Staatsanwaltschaft Berlin“ von Prof. Dr. Claudius Ohder, Berlin 2006; alle Studien abrufbar über die Website www.berlin-gegen-gewalt.de

Das Arbeitsgericht Berlin hatte mit Urteil vom 21. Juli 2011, Az. 17 Ca 1102/11, entschieden, dass die gegenüber einem als Chemisch-Technischer Assistent angestellten Mitarbeiter ausgesprochene Kündigung eines Pharmaunternehmens wirksam war. Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer wegen dessen HIV-Infektion gekündigt. Der Arbeitnehmer befand sich noch in der Probezeit und wurde bei der Herstellung von Medikamenten eingesetzt. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und Klage auf Entschädigungszahlung nach dem  allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), beides lehnte das Arbeitsgericht ab. Eine HIV-Infektion sei keine Behinderung im Rechtssinne, die bei entsprechender Diskriminierung eine Entschädigungszahlung auslöse, der Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) wiederum greife erst nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit. Die gegen das Urteil gerichtete Berufung des Arbeitnehmers wies nun das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) mit Urteil vom 13. Januar 2012, Az.  6 Sa 2159/11, ab. Das LAG schloss sich im Wesentlichen der Argumentation des Arbeitsgerichts Berlin an. Danach konnte die Kündigung nur auf einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geprüft werden, da der Kündigungsschutz des KSchG erst nach 6 Monaten Anwendung finde. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben lag aber nach Meinung des LAG nicht vor. Einem Pharmaunternehmen könne nicht verwehrt werden, für die Medikamentenherstellung allgemein den Einsatz erkrankter Arbeitnehmer auszuschließen.  Ob die Kündigung wegen einer Infektion mit dem HI-Virus eine Diskriminierung wegen Behinderung nach dem AGG darstellt, ließ das LAG im Gegensatz zum Arbeitsgericht dahinstehen, da ein etwaige Diskriminierung zumindest „wegen des Interesses des Arbeitgebers, jedwede Beeinträchtigung der Medikamentenherstellung durch erkrankte Arbeitnehmer auszuschließen, gerechtfertigt“ sei.

Fundstellen: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Januar 2012, Az. 6 Sa 2159/11, Presseerklärung vom 13.01.2012; Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 21. Juli 2011, Az. 17 Ca 1102/11, Presseerkärung vom 05.08.2011; Allgemeine Informationen zum  Kündigungsschutz, Allgemeine Informationen zum Diskriminierungsrecht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 22. Dezember 2011, Az. 2 StR 509/10, ein Urteil des Landgerichts Köln (LG Köln) aufgehoben, das LG Köln hatte ein von der Polizei abgehörte Selbstgespräch des Angeklagten zu dessen Überführung rechtswidrig verwertet. Der Angeklagte war vom LG Köln zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt worden. Der Fall muss nun neu verhandelt werden. Nach den Ausführungen in der Presseerklärung des Bundesgerichtshofs stand der Verurteilung ein aus der Verfassung abgeleitetes absolutes Verwertungsverbot entgegen. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG schützen den Kernbereich der Persönlichkeit.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits mit Urteil vom 14. September 1989, Az. 2 BvR 1062/87, entschieden, dass tagebuchähnliche Aufzeichnungen eines Beschuldigten unter Umständen im Strafverfahren als Beweismittel ausscheiden können. Im konkreten Fall war die Verwertung des Tagebuchs als Beweismittel jedoch verfassungsgemäß, das Bundesverfassungsgericht konnte eine Verfassungswidrigkeit wegen Stimmgleichheit nicht feststellen, denn vier Verfassungsrichter stimmten für ein Verwertungsverbot, vier dagegen. Das Bundesverfassungsgericht erkennt aber grundsätzlich einen letzten unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung an, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist, da der Kern der Persönlichkeit durch die unantastbare Würde des Menschen geschützt werde. Selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit können Eingriffe in diesen Bereich nicht rechtfertigen, eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet insoweit nicht statt. Tagebuchaufzeichnungen können nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtssphäre des Verfassers allerdings hinausweisen und Belange der Allgemeinheit berühren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.06.2008, Az. 2 BvR 219/08). Das Bundesverfassungsgericht führte in dem Beschluss vom 03.03.2004, Az. 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, Rn. 137, zum großen Lauschangriff aus: „Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten, gewinnen nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug, dass sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen. Ein hinreichender Sozialbezug besteht demgegenüber bei Äußerungen, die sich unmittelbar auf eine konkrete Straftat beziehen.“ Nur insoweit nimmt das Bundesverfassungsgericht dann regelmäßig doch eine Interessenabwägung vor.

Der Bundesgerichtshof hatte bereits mit Urteil vom 10.08.2005, Az. 1 StR 140/05, entschieden, dass Selbstgespräche unter Umständen nicht verwertet werden können. Der damalige Angeklagte war bei einem Klinikaufenthalt in seinem Einzelzimmer abgehört wurden, wobei dessen Selbstgespräche waren minutiös aufgezeichnet worden waren. Die Verwertung schied wegen Verstoßes gegen Vorschriften des Strafprozessordnung (§ 100c StPO) aus, weil das damals geführte Selbstgespräch dem durch Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen war. Der Bundesgerichtshof nahm damals eine Abwägung vor, die im Ergebnis zu einem absoluten Verwertungsverbot führte. Maßgebend war, dass es sich um ein aufgrund einer staatlichen Überwachungsmaßnahme aufgezeichnetes Selbstgespräch handelte,  es in einem hier von Art. 13 GG geschützten Wohnraum geführt wurde und dessen Inhalt in Bezug auf den Tatvorwurf interpretationsbedürftig war. Entscheidend war somit u. a. dass auch das Krankenzimmer in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) zugerechnet wurde. Danach hat das das Selbstgespräch ausschließlich höchstpersönlichen Charakter und berührt aus sich heraus nicht die Sphäre anderer oder der Gemeinschaft.

Diese Rechtsprechung scheint sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner aktuellen Entscheidung fortzusetzen, die Begründung des Urteils wurde allerdings noch nicht veröffentlicht. Aus der Pressemitteilung geht aber bereits hervor, dass der BGH daran festhält, dass nicht jedes Selbstgespräch einem Verwertungsverbot unterliegt. Maßgebend für das Vorliegen eines Verwertungsverbots sei, dass die Äußerungen nichtöffentlich und ohne kommunikativen Bezug getätigt wurden. Zudem muss Unbewusstheit der verbalen Äußerung möglich sein und die Identität der Äußerung mit den inneren Gedanken anzunehmen sein. Weiteres Kriterium ist laut BGH die „Äußerungsform als bruchstückhafter, auslegungsfähiger oder –bedürftiger Ausschnitt eines Gedankenflusses“. Liegen diese Kriterien vor, so soll ein absolutes Verwertungsgebot des Selbstgesprächs auch außerhalb des besonderen Schutzbereichs der eigenen Wohnung gegeben sein.

Fundstellen: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Dezember 2011, Az. 2 StR 509/10; Urteil vom 10.08.2005, Az. 1 StR 140/05, Presseerklärung vom 22.12.2011; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. September 1989, Az. 2 BvR 1062/87;  Beschluss vom 03.03.2004, Az. 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, Beschluss vom 26.06.2008, Az. 2 BvR 219/08

Die nachträgliche Sicherheitsverwahrung beschäftigt weiter die Gerichte. Die derzeit geltende Regelung des § 66b StGB ist verfassungswidrig. Das dürfte spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 04.05.2011, Az. 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR 2333/08, 2 BvR 571/10, 1152/10, allgemein bekannt sein. Das Bundesverfassungsgericht entschied mit dem Urteil vom 04.05.2011 die 5 von Untergebrachten eingereichten Verfassungsbeschwerden in der Weise, dass die Sicherungsverwahrung nicht mit dem Freiheitsgrundrecht nach Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG), dem Vertrauensschutz nach Art. 20 Abs. 3 GG und dem Rückwirkungsverbot nach Art. 104 Abs. 1 GG, 20  vereinbar sei. Die Anforderungen an das verfassungsrechtliche Abstandsgebot werden nicht eingehalten. Das Abstandsgebot besagt, dass Strafvollzug und der therapeutische Maßregelvollzug der Sicherungsverwahrung voneinander getrennt werden müssen, da sie unterschiedliche Zwecke verfolgen. Die Freiheitsstrafe dient der Vergeltung schuldhaft begangener Straftaten, die Sicherungsverwahrung hat hingegen den präventiven Zweck, neue Straftaten zu verhindern. Die alte Regelung bleibt laut dem Urteil aber bis zur Neuregelung längstens bis zum 31.05.2013 in Kraft, um ein rechtliches Vakuum zu verhindern. Für die Anwendung der verfassungswidrigen Regelung stellt das BVerfG aber strenge Prüfungsanforderungen auf, u. a. muss die Verhältnismäßigkeit strikt geprüft werden und eine psychische Störung nach dem Therapieunterbringungsgesetz vorliegen. Zudem muss die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen abzuleiten sein.

Ursprünglich hatte das BVerfG die Regelungen zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung mit Urteil vom 05.02.2004, Az. 2 BvR 2029/01, für verfassungskonform gehalten. Damals hatte es noch erklärt, dass die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG auch durch eine lang andauernde Unterbringung des Verwahrten nicht zwingend verletzt werde, der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG nicht eröffnet sei und die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung im Einklang mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot (Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 20 Abs. 3 GG) stünde. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschied dann im Verfahren M. gegen Deutschland mit Urteil vom 17.12.2009, Beschwerdenummer 19359/04, dass die Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen das Recht auf Freiheit nach Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und gegen das Rückwirkungsverbot nach Art. 7 EMRK verstoßen. Am 13.01.2011 wurde die Bundesrepublik erneut vom EGMR wegen Verstoßes gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit nach Art. 5 EMRK im Fall Haidn gegen Deutschland verurteilt (Beschwerdenr. 6587/04), weil das Landgericht Passau ohne ausreichende Rechtsgrundlage die Sicherungsverwahrung im Juni 2005 nachträglich angeordnet hatte. In drei weiteren Urteilen vom 13.01.2011 des EGMR in den Fällen Kallweit gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 17792/07, Mautes gegen Deutschland, Beschwerdenr. 20008/07, und Schummer gegen Deutschland, Beschwerdenr. 27360/04 und 42225/07, wurde Deutschland ebenfalls wegen der nachträglichen Verlängerung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung wegen Verstoßes gegen Art. 5 EMRK (Freiheit) und Art. 7 EMRK (Keine Strafe ohne Gesetz) verurteilt. Die Beschwerdeführer erhielten als gerechte Entschädigung zwischen 25.000 € und 70.000 €. Diese Rechtsprechung bekräftigte der EGMR durch Urteil vom 14.04.2011, Beschwerdenummer 30060/04, im Fall Jendrowiak gegen Deutschland mit der im Wesentlichen gleichen Begründung, dieses Mal erhielt der Beschwerdeführer 27.467,00 € als Entschädigung.

Das Bundesverfassungsgericht revidierte daraufhin seine Entscheidung vom 05.02.2004 und entschied -wie oben dargelegt- am 04.05.2011, dass die Regelungen der Sicherungsverwahrung auch die Grundrechte des Grundgesetzes verletzten. Es begründete seinen Kurswechsel mit dem Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes, diese erfordere keine schematische Angleichung wohl aber eine Aufnahme der Wertungen der Urteile des EGMR. Das BVerfG betont in der letzten Entscheidung, dass die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung freiheitsorientiert und therapiegerichtet sein müsse. Es bedürfe eines Gesamtkonzepts mit klar therapeutischer Ausrichtung. Darüber hinaus muss die Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit sichtbar die Praxis der Unterbringung bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht ordnete weiterhin hinsichtlich der sogenannten Altfälle an, dass die zuständigen Vollstreckungsgerichte unverzüglich zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen der Fortdauer einer Sicherungsverwahrung gegeben sind und gegebenenfalls die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 anzuordnen. Mit Beschluss vom 08.06.2011, Az. 2 BvR 2846/09 unterstrich das Bundesverfassungsgericht noch einmal diese Rechtsprechung.

Nichtsdestotrotz  kassiert die Bundesrepublik weiterhin eine Niederlage nach der anderen beim EGMR. Zuletzt stellte dieser mit Kammerurteil vom 21.11.2011, Beschwerdenummer 48038/06, im verfahren Schönbrod gegen Deutschland fest, dass die Sicherheitsverwahrung ohne gerichtliche Vollstreckungsanordnung gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK verstößt. Denn eine Freiheitsentziehung muss als willkürlich gelten, wenn die Anordnung der Sicherheitsverwahrung nicht zügig nach der Verbüßung der Haftstrafe erfolgt, selbst wenn deren Verhängung an sich weder gegen nationales Recht noch gegen die EMRK verstößt. Die Bundesrepublik musste 5.000 € Schadenersatz für immateriellen Schaden sowie die Kosten des Beschwerdeführers zahlen. Am 24.11.2011 begrüßte der EGMR zwar, dass das Bundesverfassungsgericht die Überprüfung der Altfälle angeordnet hat, verurteilte die Bundesrepublik Deutschland aber erneut zur Zahlung von 20.000 € Entschädigung wegen Verstoßes gegen Art. 5 EMRK und Art. 7 EMRK im Verfahren O.H. gegen Deutschland, Beschwerdenummer: 4646/08.

Zu betonen ist dabei allerdings, dass es sich bei den oben dargestellten vom EGMR entschiedenen Beschwerden um Fälle der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung handelt, die Anordnung der Sicherungsverwahrung im ursprünglichen Urteil bleibt hingegen grundsätzlich zulässig, solange die Sicherungsverwahrung die gesetzliche Höchstdauer nicht überschreitet (vgl. EGMR, Urteil vom 09.06.2011, Schmitz gegen Deutschland, Beschwerdenummer 30493/04 und Urteil vom 09.06.2011, Mork gegen Deutschland, Beschwerdenummern 31047/04 und 43386/08).

Die Rechtsprechung des EGMR wird anscheinend auch zunehmend von den deutschen Gerichten berücksichtigt, so entschied der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 08.11.2011, Az. 1 StR 231/11, dass eine gewisse Gefährlichkeit des Verurteilten zur Anordnung der nachträglichen Sicherheitsverwahrung nicht ausreiche. In dem konkreten Fall hielt der BGH eine ausreichende Selbstwertgefühl vermittelnde Therapie im Rahmen der Führungsaufsicht für hinreichend.

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 04.05.2011, Az. 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR 2333/08, 2 BvR 571/10, 1152/10; Beschluss vom 08.06.201, Az. 2 BvR 2846/09; Beschluss vom 05.02.2004, Az. 2 BvR 2029/01; Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 17.12.2009, M gegen Deutschland, Beschwerdenummer 19359/04 (englisch), Pressemitteilung vom 17.12.2009 (deutsch); Urteil vom 13.01.2011, Haidn gegen Deutschland, Beschwerdenr. 6587/04, Pressemitteilung vom 13.01.2011 (deutsch); Urteile vom 13.01.2011 Kallweit gegen Deutschland, Beschwerdenr. 17792/07; Mautes gegen Deutschland, Beschwerdenummer 20008/07; Schummer gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 27360/04 und 42225/07, Pressemitteilung vom 13.01.2011 (deutsch); Urteil vom 14.04.2011, Fall Jendrowiak gegen Deutschland, Beschwerdenummer 30060/04 (englisch), Pressemitteilung vom 14.04.2011 (deutsch); Urteil vom 09.06.2011 (englisch), Schmitz gegen Deutschland, Beschwerdenummer 30493/04; Urteil vom 09.06.2011, Mork gegen Deutschland, Beschwerdenummern 31047/04 und 43386/08; Urteil vom 21.11.2011, Schönbrod gegen Deutschland, Beschwerdenummer 48038/06 (englisch), Pressemitteilung vom 21.11.2011; Urteil vom 24.11.2011, O.H. gegen Deutschland, Beschwerdenummer: 4646/08 (englisch); Pressemitteilung vom 24.11.2011 (deutsch); Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.11.2011, Az. 1 StR 231/11

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ein Urteil des Landgerichts Koblenz, mit welchem der Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Der Angeklagte war laut Pressemittelung des BGHs Mitglied des Motorradclubs „Hell´s Angels“ und befürchtete, dass er von Mitgliedern des konkurrierenden Clubs „Bandidos“ ermordet werden solle. Zur Durchführung eines Durchsuchungsbefehls, der gegen den Angeklagten erlassen worden war, versuchte ein Sondereinsatzkommando der Polizei die Tür des Angeklagten zu öffnen. Dieser ging davon aus, dass an der Tür die Mitglieder des Clubs „Bandidos“ waren, die ihn und seine Verlobte töten wollten. Da sich die Polizisten nicht zu erkennen gaben und bereits zwei von drei Verriegelungen der Tür geöffnet hatten, schoss der Angeklagte mit einer Pistole auf die Tür und tötete dabei einen Polizisten. Das Landgericht Koblenz verurteilte den Angeklagten wegen Totschlags, weil der Angeklagte nach Ansicht des Landgerichts eine Vorwarnung aussprechen oder einen Warnschuss hätte abgeben müssen. Laut der Presserklärung ging der Bundesgerichtshof dementgegen von Putativnotwehr aus und sprach den Angeklagten frei. Putativnotwehr liegt vor, wenn der Täter irrig die tatsächlichen Voraussetzungen einer Notwehrlage annimmt. Er muss also irrig von einem gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff ausgehen, gegen den der Schuss mit der Pistole ein geeignetes, erforderliches und gebotenes Mittel ist, sich zur Wehr zu setzen. Es liegt dann ein sogenannter Erlaubnistatbestandsirrtum vor, eine Bestrafung wegen Vorsatzes scheidet aufgrund dieses Irrtums aus. Der Bundesgerichtshof nahm allerdings offenbar deswegen auch keine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung an, weil nach der Irrtum für den Täter nicht vermeidbar und ihm nicht vorzuwerfen war. Hinsichtlich der Einzelheiten bleibt die Veröffentlichung der Urteilsbegründung abzuwarten.

Fundstellen: Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. November 2011, Az. 2 StR 375/11, Landgericht Koblenz, Urteil vom 28. Februar 2011, Az. 3 Ks 2090 Js 16853/10

Ein besonders schwerer Fall des Betruges gem. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB liegt regelmäßig u. a. dann vor, wenn der Täter gewerbsmäßig gehandelt hat. Liegt ein schwerer Fall vor, erhöht sich die Mindeststrafe auf 6 Monate. Es ist demnach für Strafzumessung entscheidend, ob eine gewerbsmäßige Begehungsform vorliegt oder nicht. Gewerbsmäßig handelt, wer in der Absicht einen Betrug begeht, sich durch die wiederholte Begehung  für eine längere Zeit und nicht nur vorübergehend eine Einkommensquelle zu erschließen. Das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm) hat mit Beschluss vom 11.08.2011, Az. III – 5 RVs 40/11, nun allerdings entschieden, dass beim gewerbsmäßigen Betrug selbst bei zahlreichen vorgeworfenen Fällen ein besonders schwerer Fall dann ausscheidet, wenn der Schaden die Geringwertigkeitsgrenze nur knapp übersteigt, der Gesamtschaden relativ gering war und gewichtige zugunsten des Täters sprechende Umstände gegeben sind. Das OLG Hamm führt mit seiner Entscheidung die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (BGH) fort (vgl. BGH, Beschluss vom 28.02.2001, Az. 2 StR 509/00). Das OLG Hamm betont in seiner Entscheidung, dass von der Erfüllung des Regelbeispiels des § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB nur eine Indizwirkung ausgeht, die durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden kann. Das gesamte Tatbild unter Berücksichtigung aller tat- und täterbezogenen Umstände ist hinsichtlich der Prüfung des Vorliegens eines besonders schweren Falles zu berücksichtigen. Beim Betrug ist aber für die Strafzumessung vor allem die Schadenshöhe ausschlaggebend. Beim gewerbsmäßigen Betrug kann deshalb selbst bei zahlreichen vorgeworfenen Fällen ein besonders schwerer Fall dann ausscheiden, wenn der Schaden die Geringwertigkeitsgrenze nur knapp übersteigt, der Gesamtschaden relativ gering war und mildernde Umstände vorliegen. Die Geringwertigkeitsgrenze wird gemeinhin bei einem Betrag in Höhe von 50,00 € gezogen (so auch das OLG Hamm). Das Kammergericht Berlin bezweifelt die Höhe dieser Grenze allerdings (vgl. Kammergericht Berlin, Beschluss vom 13.01.2010, Az. 1 Ss 465/09). Das Kammergericht hegt Zweifel an der Grenze von 50,00 € im Hinblick auf die damals geltende Höhe von monatlich 359,00 € des Regelsatzes nach § 20 Abs. 2 SGB II (Hartz IV), jedenfalls liege die Grenze auch nach der Entscheidung des Kammergerichts nicht oberhalb von 25,00 €. Nach den Entscheidungen des Kammergerichts und des BGH kann ein festgestellter Gesamtschaden noch als relativ gering angesehen werden wenn unterhalb von 15.000 DM (was einem Betrag von 7669.38 € entspräche) liege. Gegen das Vorliegen des schweren Falles kann laut der Entscheidung des Kammergerichts sprechen, dass der Angeklagte in bescheidenen, gleichwohl geordneten Verhältnissen lebt, die Abgabe eines umfassendes Geständnis, das Fehlen von Vorstrafen, der lange seit der letzten Tat verstrichene Zeitraum, sowie ein leichtfertiges Handeln der Geschädigten. Nach dem Schuldmaßprinzip ist eine differenzierte Zumessung der Einzelstrafen geboten. Darüber hinaus betont das OLG Hamm in Anlehnung an die diesbezügliche Rechtsprechung des BGHs, dass die Bezeichnung der Betrugstaten als gewerbsmäßig nicht in die Urteilsformel aufzunehmen ist, da das Vorliegen gesetzlicher Regelbeispiele für besonders schwere Fälle nicht in die Urteilsformel gehört. Ein Verstoß hiergegen kann mit der Revision angegriffen werden.

Fundstellen: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.02.2001, Az. 2 StR 509/00; Kammergericht Berlin, Beschluss vom 13.01.2010, Az. 1 Ss 465/09; Oberlandesgericht Hamm,  Beschluss vom 11.08.2011, Az. III – 5 RVs 40/11

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 21.6.2011, Az. B 4 AS 128/10 R, entschieden, dass jemand, der im geschlossenen Vollzug eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, kein Anspruch auf Hartz IV (Arbeitslosengeld II) zusteht. Wird in einem strafrechtlichen Verfahren rechtskräftig eine Geldstrafe verhängt, die der Verurteilte anschließend nicht zahlt, so wird -außer in Härtfeällen- eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Einem Tagessatz entspricht ein Tag Freiheitsstrafe (vgl. § 43 StGB). Die Ersatzfreiheitsstrafe darf nur verhängt werden, wenn sie unerbringlich ist. Das bedeutet, dass die Vollstreckung der Geldstrafe erfolglos betrieben worden sein muss. Regelmäßig bestehen bei Zahlungsunfähigkeit auch die Möglichkeiten eine Ratenzahlung (vgl. § 42 StGB) zu vereinbaren oder auf Antrag die Geldstrafe durch Ableisten von gemeinnütziger Arbeit zu begleichen (vgl. § 1 Tilgungsverordnung Bln). Mit sechs Stunden freier Arbeit wird bei letzterem ein Tagessatz der Geldstrafe getilgt. Für die Vollstreckung ist die Staatsanwaltschaft zuständig. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist neben der Straf- und Untersuchungshaft die dritthäufigste freiheitsentziehende Maßnahme. Im vorliegenden, vom BSG zu entscheidenden Fall wurde die Ersatzfreiheitsstrafe für 3 Monate im geschlossenen Vollzug für den Kläger angeordnet. Der Kläger befand sich im laufenden Bezug von Arbeitslosengeld nach dem SGB II. Darauf hob das Jobcenter den Hartz-IV-Bewilligungsbescheid wegen Wegfalls des Leistungsanspruchs auf. Denn der Bedürftige muss dem Arbeitsmarkt zu einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbsarbeit zur Verfügung stehen (vgl. § 7 Abs. 4 SGB II). Der Aufenthalt im sogenannten Regelvollzug einer Justizvollzugsanstalt (JVA) ohne Freigang biete diese Möglichkeit nicht. Das BSG begründete die Entscheidung allerdings vorrangig damit, dass es sich auch bei der Ersatzfreiheitsstrafe um eine richterlich angeordnete Maßnahme der Freiheitsentziehung handele, die automatisch zum Leistungswegfall führe. Denn bei jeder Verurteilung zu einer Geldstrafe werde die Ersatzfreiheitsstrafe bei Nichtzahlung der Geldstrafe mitgedacht und mitverhängt und trete als echte Strafe ohne rechtsgestaltenden Akt an die Stelle der Geldstrafe. Der Bedürftige sei darüber hinaus verpflichtet, den bevorstehenden Haftantritt zumindest vorsorglich dem Jobcenter mitzuteilen.

Anders verhält es sich übrigens beim Ableisten von sozialer Arbeit statt Strafe, dabei steht der Verurteilte dem Arbeitsmarkt weiterhin zu Verfügung, da er jederzeit die gemeinnützige Arbeit abbrechen und einen regulären Job annehmen kann, er behält also währenddessen seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV).

Fundstelle: Bundessozialgericht, Urteil vom 21.6.2011, B 4 AS 128/10 R

Wird in einem Strafverfahren auf eine Geldstrafe entscheiden, so ist es höchst umstritten, wie sich die Höhe der Tagessatzhöhe berechnet, wenn der Verurteilte bedürftig ist, z. B. Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II, auch als Hartz IV bezeichnet) bezieht. Die Geldstrafe setzt sich grundsätzlich aus der Tagessatzanzahl und der Tagessatzhöhe zusammen.  Die Anzahl der Tagesätze wird nach der Schuld der begangenen Tat des Verurteilten beurteilt. Die Höhe der Tagessätze richtet sich dagegen nach den täglichen Nettoeinkünften.  Das Oberlandesgericht Köln hat am 10.06.2011, Az. III–1 RVs 96/11, beschlossen, dass die Festlegung der Tagessatzhöhe auf 10 € für einen Hartz-IV-Empfänger grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.  Dem lag die Verurteilung einer allein erziehenden Mutter wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu 70 Tagessatzen zu je 10 € (Tagessatzhöhe) zugrunde. Ihren Lebensunterhalt für sich und ihre drei Kinder bestritt sie ausschließlich durch den Bezug von Arbeitslosengeld II und Kindergeld. Auch wenn das Gericht die Tagessatzhöhe für nicht unangemessen ansah, so änderte es doch das vorhergehende Urteil des Landgerichts Aachen in der Weise ab, dass Zahlungserleichterungen in der Form von Ratenzahlungen gestattet wurden. Das OLG Köln setzte die Raten auf monatlich 35 € fest. Es betont bei der Entscheidung, dass der Verurteilten, die als Hartz IV-Empfängerin am Rande des Existenzminimums lebt, das zum Lebensbedarf Unerlässliche verbleiben muss. Das OLG Köln legte dabei 75 % des Regelsatzes der Sozialhilfe als Grenzwert an. Danach muss der Hilfebedürftigen nach Abzug der Raten der Geldstrafe ein Betrag in Höhe von 269,26 € verbleiben. Mittlerweile hat sich der Regelsatz der Sozialhilfe von 359 € auf 364,00 € erhöht, legt man die Ansicht des OLG Köln zugrunde, muss dem Verurteilten daher nunmehr ein Betrag in Höhe von 273,00 € verbleiben.  Der Streit um die Berechnung der Tagessatzhöhe ist durch den Beschluss zwar nicht gelöst, aber zumindest ein fester, berechenbarer Wert für das unerlässliche Existenzminimum festgelegt worden.

Fundstelle: Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 10.06.2011, Az. III–1 RVs 96/11 ; vgl. Rechtsprechungsdatenbank Nordrhein-Westfalen



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