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Das Berliner Institut für Sozialforschung hat die heutige Lebenslage der Opfer von DDR-Unrecht und deren Familienangehöriger in Brandenburg wissenschaftlich erforscht. Die Sozialstudie kommt zu dem Ergebnis, dass die extremen Belastungen und die Ausnahmeerfahrungen den weiteren Lebensverlauf der meisten Betroffenen negativ beeinflusst haben. Das verfügbare Einkommen der Betroffenen stelle sich oft als sehr prekär dar und liege deutlich unter dem Durchschnitt der Bevölkerung im Land Brandenburg. 49 % der Betroffenen verfügen über ein persönliches monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 €.

Die Betroffenen klagen noch heute in 70 % der Fälle über psychische Folgen und in 38 % der Fälle über körperlichen Folgen des erlittenen Unrechts. Häufig treten bei ihnen beispielsweise Schlafstörungen, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen auf.

Die negativen materiellen  Folgen  und die Auswirkungen des Unrechts auf die berufliche Laufbahn wirken bis heute stark nach. Betroffene die für das erlittene Unrecht juristisch rehabilitiert wurden,  schätzen nach den Ergebnissen der Studie  ihren  Gesundheitszustand  als  besser  ein  und sind zufriedener mit der Demokratie in Deutschland. Betroffene von DDR-Unrecht stehen dabei der  demokratischen  Gesellschaft heute ohnehin insgesamt positiver gegenüber als der brandenburgische Bevölkerungsdurchschnitt.

Fundstellen: Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen DiktaturBerliner Institut für Sozialforschung GmbH, „Studie zu aktuellen Lebenslagen von Menschen aus dem Land Brandenburg, die in der SBZ / DDR politisch verfolgt wurden oder Unrecht erlitten und deren mitbetroffenen Familien“

Nach der Pressemitteilung der Bundesregierung vom 15.05.2019 sollen die Fristen für Rehabilitierungsanträge für DDR-Unrecht gestrichen werden. Bislang gilt als letzter möglicher Termin für die Antragstellung der 31.12.2019.

Die Beweisführung bezüglich der Rehabilitierung von DDR-Heimkindern soll erleichtert werden. Es soll insbesondere für ehemalige Heimkinder, die wegen der politischen Verfolgung ihrer Eltern in ein Heim, Spezialheim oder Jugendwerkhof eingewiesen wurden, eine einfachere Regelung zur Rehabilitierung geschaffen werden.

Bereits im Koalitionsvertrag war vereinbart worden, dass die Antragsfristen „im Einvernehmen mit den Bundesländern“ aufgehoben werden sollen und geprüft werden soll, wie die bestehenden rechtlichen Grundlagen der Entschädigung für die Heimkinder verbessert werden können. Es bleibt daher abzuwarten, wie die neue konkrete rechtliche Regelung ausgestaltet sein wird. Bislang hat die Bundesregierung nur einen Gesetzentwurf beschlossen, noch gilt die alte Rechtslage.

Fundstelle: Bundesregierung, Pressemitteilung „Mehr Unterstützung für DDR-Opfer“ vom 15.05.2019

Das Landgericht Potsdam hat mit Beschluss vom 12.05.2017, Az. BRH 33/15, BRH 36/15, die Heimeinweisung der zwei Betroffenen in unterschiedliche Kinderheime in der DDR wegen politischer Verfolgung als rechtsstaatswidrig aufgehoben. Es weicht damit scheinbar von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab. Der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung, dass eine Heimunterbringung der Kinder nicht als rechtsstaatswidrig aufzuheben ist, wenn diese allein aus dem Anlass erfolgte, dass die Eltern infolge ihrer politisch motivierten Inhaftierung an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert waren (BGH, Beschluss vom 05.03.2015, Az. 4 StR  525/13). Denn dann richte sich die politische Verfolgung nicht unmittelbar gegen die Kinder, sondern sei lediglich die Folge der politischen Verflogung der Eltern.

In dem von dem Landgericht Potsdam entschiedenen Fall hatten die Eltern versucht zusammen mit ihren beiden betroffenen Kindern im Juli 1971 von Bulgarien aus mit einem Faltboot in die Türkei überzusetzen. Bei diesem Fluchtversuch wurden sie festgenommen und inhaftiert. Die Eltern wurden von der Stasi vernommen und  wegen versuchter Republikflucht und Spionage zu Freiheitsstrafen von 7 bzw. 5 Jahren verurteilt. Die Kinder wurden seit der Inhaftierung der Eltern in Kinderheimen untergebracht. Bis auf einen Urlaubsaufenthalt bei der Großmutter und einer Tante blieben die Kinder bis zur Amnestie der Eltern im Heim. Die Kinder wurden im Februar 1973 aus den Kinderheimen zu ihren Eltern entlassen. Mehrere Verwandte der Kinder wären damals bereit gewesen, die Kinder bei sich aufzunehmen, wurden aber von den Behörden der DDR nicht gefragt, ihnen wurde vielmehr -wie den Eltern- die Unterbringung und der Aufenthaltsort der Kinder verheimlicht. Ein Briefkontakt der Kinder mit den Verwandten wurde von den DDR-Behörden verhindert.

Das Landgericht Potsdam hat die Heimeinweisungen der Kinder in dem Beschluss vom 12.05.2017, Az. BRH 33/15, BRH 36/15, für rechtsstaatswidrig erachtet, weil die Unterbringung der Kinder nicht allein dem Umstand geschuldet war, dass die Eltern wegen ihrer Inhaftierung die Sorge und die Erziehung der Kinder nicht wahrnehmen konnten. Die Kinder sollten vielmehr für den missglückten Fluchtversuch der Eltern mitbestraft werden, weshalb auch die Kotaktsperre erlassen wurde. Die Kinder sind deshalb wegen verhängter Sippenhaft selbst Opfer unmittelbarer politischer Verfolgung geworden und entsprechend zu rehabilitieren.

Fundstelle: Landgericht Potsdam, Beschluss vom 12.05.2017, Az. BRH 33/15, BRH 36/15

Der Vorbericht zu dem Spielfilm „Fünf Jahre Leben“, der  u. a. über die Zeit von Herrn Murat Kurnaz in dem Gefangenenlager in Guantanamo der USA auf Kuba behandelt, ist sehenswert. Er enthält kurze Interviewsequenzen mit Herrn Kurnaz. Der Beitrag ist in der Mediathek des ZDF unter der folgenden Adresse abrufbar:

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1895098/#/beitrag/video/1895098/Film-Fuenf-Jahre-Leben—Murat-Kurnaz

Herr Kurnaz hat offenbar bis heute keine Entschädigung für die erlittene Haft erhalten. Insoweit weise ich auf den ähnlichen Fall des ehemaligen Inhaftieren, Herrn Khaled El.Masri hin (Blogartikel vom 14.12.2012 „Mazedonien muss an Khaled El-Masri 60.000 € u. a. wegen Folter zahlen“). In seinem Fall hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Staat Mazedonien immerhin verurteilt an Herrn Khaled El-Masri eine Entschädigung in Höhe von 60.000 € zu zahlen. Herr El-Masri war nach der Verhaftung in Mazedonien u. a. an das CIA überstellt worden und in ein Geheimgefängnis in Afghanistan gebracht worden.

Fundstellen: Offizielle Homepage des Films “Fünf Jahre Leben”; Blogartikel vom 14.12.2012 „Mazedonien muss an Khaled El-Masri 60.000 € u. a. wegen Folter zahlen“; Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 13.12.2012, El-Masri gegen die „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“, Beschwerdenummer 39630/09, Pressemitteilung Nr. 453

Die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat mit Urteil vom 13.12.2012 das Land Mazedonien einstimmig verurteilt an den deutschen Staatsangehörigen, Herrn Khaled El-Masri, eine Entschädigung in Höhe von 60.000 € wegen rechtswidriger Eingriffe in dessen Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu zahlen. Das Gericht sah als erwiesen an, dass Herr El-Masri einer geheimen Überstellung (extraordinary rendition) unterzogen wurde. Nachdem er von der mazedonischen Polizei festgenommen worden war, wurde er in einem Hotel in Skopje 23 Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, auf Englisch verhört und misshandelt, anschließend wurde er an ein Überstellungsteam (rendition team) der CIA überstellt, das ihn in ein Geheimgefängnis in Afghanistan brachte, wo er über vier Monate lang weiter misshandelt wurde.

Herrn El-Masri wurde nach dem Urteil vorsätzlich emotionales und psychologisches Leid zugefügt, um Informationen über seine angeblichen Verbindungen zu terroristischen Organisationen zu erhalten. Die Mitglieder des Überstellungsteams der CIA haben Herrn El-Masri nach den Feststellungen des Urteils u. a. verprügelt, vergewaltigt und gefesselt (sogenannte „capture-shock“-Behandlung). Durch die Überstellung des Herrn El-Masri an die Behörden der USA wurde Herr El-Masri der konkreten Gefahr weiterer konventionswidriger Behandlung ausgesetzt.

Das Gericht sah darin Verstöße gegen das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie gegen das Recht auf wirksame Beschwerde.

Fundstellen: Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 13.12.2012, El-Masri gegen die „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“, Beschwerdenummer 39630/09 (englisch, 4,5 MB), Pressemitteilung Nr. 453 (deutsch, pdf-Datei), Video der öffentlichen Verhandlung der Großen Kammer vom 16.05.2012

Entschädigungen zwischen 49.000 € und 73.000 € muss das Land Baden-Württemberg an ehemalige Sicherungsverwahrte als Wiedergutmachung zahlen. Nach den jetzt veröffentlichten Urteilen des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG Karlsruhe) vom 29.11.2012  waren die wegen versuchten Mordes, Vergewaltigung und anderer Straftaten zu langen Freiheitsstrafen verurteilten Personen zu lange nach Verbüßung der Freiheitsstrafe der Sicherungsverwahrung ausgesetzt. Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche der Inhaftierten ergeben sich nach dem Urteil unmittelbar aus Art. 5 Abs. 5 der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), da die Freiheit der Verwahrten entgegen Art. 5 Abs. 1 EMRK rechtswidrig beschränkt worden war. Die ausgeurteilte Entschädigung beträgt jeweils 500,00 EUR pro Monat.

Die Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung hat zwar zum Anordnungszeitpunkt der damaligen Rechtslage entsprochen und wurde von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für verfassungskonform gehalten (vgl. Blogartikel vom 07.12.2011 „Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung – Gewisse Gefährlichkeit nicht ausreichend“), das ändert aber am Entschädigungsanspruch der Inhaftierten nichts, da der Anspruch kein Verschulden der staatlichen Organe voraussetzt.

Fundstellen: Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteile vom 29.11.2012, Az. 12 U 60/12, 12 U 61/12, 12 U 62/12, 12 U 63/12, Pressemitteilung vom 30.11.2012, Blogartikel vom 07.12.2011 „Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung – Gewisse Gefährlichkeit nicht ausreichend“

Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kann ein Arbeitnehmer Ansprüche auf Entschädigung oder Schadensersatz wegen unerlaubter Diskriminierungen geltend machen. Dabei sind aber zwingend die vorgeschriebenen Fristen einzuhalten. Außergerichtlich muss der Anspruch grundsätzlich innerhalb von 2 Monaten schriftlich geltend gemacht werden (vgl. § 15 Abs. 4 GG). Diese Frist verstößt laut Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 15.03.2012, Az. 8 AZT 160/11, nicht gegen höherrangiges Recht und muss daher beachtet werden. Im vom BAG zu entscheidenden Fall ging es um eine angebliche Diskriminierung eines Stellenbewerbers wegen Behinderung, dieser hat seine Ansprüche aber nicht innerhalb der 2 Monate nach Erhalt des Ablehnungsschreibens schriftlich geltend gemacht sondern erst einige Tage danach. Seine Klage wurde deshalb vom BAG abgewiesen.

Wurde die Frist zur außergerichtlichen Geltendmachung eingehalten, muss zudem danach innerhalb von 3 Monaten Klage beim zuständigen Arbeitsgericht erhoben werden (vgl. § 61b ArbGG). Dabei können grundsätzlich Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu Entschädigungsansprüchen nach dem AGG führen.

Fundstellen: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.03.2012, Az. 8 AZR 160/11, Pressemitteilung 21/12; Allgemeine Informationen zum Antidiskriminierungsrecht

Das Arbeitsgericht Berlin hatte mit Urteil vom 21. Juli 2011, Az. 17 Ca 1102/11, entschieden, dass die gegenüber einem als Chemisch-Technischer Assistent angestellten Mitarbeiter ausgesprochene Kündigung eines Pharmaunternehmens wirksam war. Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer wegen dessen HIV-Infektion gekündigt. Der Arbeitnehmer befand sich noch in der Probezeit und wurde bei der Herstellung von Medikamenten eingesetzt. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und Klage auf Entschädigungszahlung nach dem  allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), beides lehnte das Arbeitsgericht ab. Eine HIV-Infektion sei keine Behinderung im Rechtssinne, die bei entsprechender Diskriminierung eine Entschädigungszahlung auslöse, der Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) wiederum greife erst nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit. Die gegen das Urteil gerichtete Berufung des Arbeitnehmers wies nun das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) mit Urteil vom 13. Januar 2012, Az.  6 Sa 2159/11, ab. Das LAG schloss sich im Wesentlichen der Argumentation des Arbeitsgerichts Berlin an. Danach konnte die Kündigung nur auf einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geprüft werden, da der Kündigungsschutz des KSchG erst nach 6 Monaten Anwendung finde. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben lag aber nach Meinung des LAG nicht vor. Einem Pharmaunternehmen könne nicht verwehrt werden, für die Medikamentenherstellung allgemein den Einsatz erkrankter Arbeitnehmer auszuschließen.  Ob die Kündigung wegen einer Infektion mit dem HI-Virus eine Diskriminierung wegen Behinderung nach dem AGG darstellt, ließ das LAG im Gegensatz zum Arbeitsgericht dahinstehen, da ein etwaige Diskriminierung zumindest „wegen des Interesses des Arbeitgebers, jedwede Beeinträchtigung der Medikamentenherstellung durch erkrankte Arbeitnehmer auszuschließen, gerechtfertigt“ sei.

Fundstellen: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Januar 2012, Az. 6 Sa 2159/11, Presseerklärung vom 13.01.2012; Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 21. Juli 2011, Az. 17 Ca 1102/11, Presseerkärung vom 05.08.2011; Allgemeine Informationen zum  Kündigungsschutz, Allgemeine Informationen zum Diskriminierungsrecht

Die nachträgliche Sicherheitsverwahrung beschäftigt weiter die Gerichte. Die derzeit geltende Regelung des § 66b StGB ist verfassungswidrig. Das dürfte spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 04.05.2011, Az. 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR 2333/08, 2 BvR 571/10, 1152/10, allgemein bekannt sein. Das Bundesverfassungsgericht entschied mit dem Urteil vom 04.05.2011 die 5 von Untergebrachten eingereichten Verfassungsbeschwerden in der Weise, dass die Sicherungsverwahrung nicht mit dem Freiheitsgrundrecht nach Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG), dem Vertrauensschutz nach Art. 20 Abs. 3 GG und dem Rückwirkungsverbot nach Art. 104 Abs. 1 GG, 20  vereinbar sei. Die Anforderungen an das verfassungsrechtliche Abstandsgebot werden nicht eingehalten. Das Abstandsgebot besagt, dass Strafvollzug und der therapeutische Maßregelvollzug der Sicherungsverwahrung voneinander getrennt werden müssen, da sie unterschiedliche Zwecke verfolgen. Die Freiheitsstrafe dient der Vergeltung schuldhaft begangener Straftaten, die Sicherungsverwahrung hat hingegen den präventiven Zweck, neue Straftaten zu verhindern. Die alte Regelung bleibt laut dem Urteil aber bis zur Neuregelung längstens bis zum 31.05.2013 in Kraft, um ein rechtliches Vakuum zu verhindern. Für die Anwendung der verfassungswidrigen Regelung stellt das BVerfG aber strenge Prüfungsanforderungen auf, u. a. muss die Verhältnismäßigkeit strikt geprüft werden und eine psychische Störung nach dem Therapieunterbringungsgesetz vorliegen. Zudem muss die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen abzuleiten sein.

Ursprünglich hatte das BVerfG die Regelungen zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung mit Urteil vom 05.02.2004, Az. 2 BvR 2029/01, für verfassungskonform gehalten. Damals hatte es noch erklärt, dass die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG auch durch eine lang andauernde Unterbringung des Verwahrten nicht zwingend verletzt werde, der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG nicht eröffnet sei und die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung im Einklang mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot (Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 20 Abs. 3 GG) stünde. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschied dann im Verfahren M. gegen Deutschland mit Urteil vom 17.12.2009, Beschwerdenummer 19359/04, dass die Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen das Recht auf Freiheit nach Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und gegen das Rückwirkungsverbot nach Art. 7 EMRK verstoßen. Am 13.01.2011 wurde die Bundesrepublik erneut vom EGMR wegen Verstoßes gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit nach Art. 5 EMRK im Fall Haidn gegen Deutschland verurteilt (Beschwerdenr. 6587/04), weil das Landgericht Passau ohne ausreichende Rechtsgrundlage die Sicherungsverwahrung im Juni 2005 nachträglich angeordnet hatte. In drei weiteren Urteilen vom 13.01.2011 des EGMR in den Fällen Kallweit gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 17792/07, Mautes gegen Deutschland, Beschwerdenr. 20008/07, und Schummer gegen Deutschland, Beschwerdenr. 27360/04 und 42225/07, wurde Deutschland ebenfalls wegen der nachträglichen Verlängerung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung wegen Verstoßes gegen Art. 5 EMRK (Freiheit) und Art. 7 EMRK (Keine Strafe ohne Gesetz) verurteilt. Die Beschwerdeführer erhielten als gerechte Entschädigung zwischen 25.000 € und 70.000 €. Diese Rechtsprechung bekräftigte der EGMR durch Urteil vom 14.04.2011, Beschwerdenummer 30060/04, im Fall Jendrowiak gegen Deutschland mit der im Wesentlichen gleichen Begründung, dieses Mal erhielt der Beschwerdeführer 27.467,00 € als Entschädigung.

Das Bundesverfassungsgericht revidierte daraufhin seine Entscheidung vom 05.02.2004 und entschied -wie oben dargelegt- am 04.05.2011, dass die Regelungen der Sicherungsverwahrung auch die Grundrechte des Grundgesetzes verletzten. Es begründete seinen Kurswechsel mit dem Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes, diese erfordere keine schematische Angleichung wohl aber eine Aufnahme der Wertungen der Urteile des EGMR. Das BVerfG betont in der letzten Entscheidung, dass die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung freiheitsorientiert und therapiegerichtet sein müsse. Es bedürfe eines Gesamtkonzepts mit klar therapeutischer Ausrichtung. Darüber hinaus muss die Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit sichtbar die Praxis der Unterbringung bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht ordnete weiterhin hinsichtlich der sogenannten Altfälle an, dass die zuständigen Vollstreckungsgerichte unverzüglich zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen der Fortdauer einer Sicherungsverwahrung gegeben sind und gegebenenfalls die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 anzuordnen. Mit Beschluss vom 08.06.2011, Az. 2 BvR 2846/09 unterstrich das Bundesverfassungsgericht noch einmal diese Rechtsprechung.

Nichtsdestotrotz  kassiert die Bundesrepublik weiterhin eine Niederlage nach der anderen beim EGMR. Zuletzt stellte dieser mit Kammerurteil vom 21.11.2011, Beschwerdenummer 48038/06, im verfahren Schönbrod gegen Deutschland fest, dass die Sicherheitsverwahrung ohne gerichtliche Vollstreckungsanordnung gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK verstößt. Denn eine Freiheitsentziehung muss als willkürlich gelten, wenn die Anordnung der Sicherheitsverwahrung nicht zügig nach der Verbüßung der Haftstrafe erfolgt, selbst wenn deren Verhängung an sich weder gegen nationales Recht noch gegen die EMRK verstößt. Die Bundesrepublik musste 5.000 € Schadenersatz für immateriellen Schaden sowie die Kosten des Beschwerdeführers zahlen. Am 24.11.2011 begrüßte der EGMR zwar, dass das Bundesverfassungsgericht die Überprüfung der Altfälle angeordnet hat, verurteilte die Bundesrepublik Deutschland aber erneut zur Zahlung von 20.000 € Entschädigung wegen Verstoßes gegen Art. 5 EMRK und Art. 7 EMRK im Verfahren O.H. gegen Deutschland, Beschwerdenummer: 4646/08.

Zu betonen ist dabei allerdings, dass es sich bei den oben dargestellten vom EGMR entschiedenen Beschwerden um Fälle der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung handelt, die Anordnung der Sicherungsverwahrung im ursprünglichen Urteil bleibt hingegen grundsätzlich zulässig, solange die Sicherungsverwahrung die gesetzliche Höchstdauer nicht überschreitet (vgl. EGMR, Urteil vom 09.06.2011, Schmitz gegen Deutschland, Beschwerdenummer 30493/04 und Urteil vom 09.06.2011, Mork gegen Deutschland, Beschwerdenummern 31047/04 und 43386/08).

Die Rechtsprechung des EGMR wird anscheinend auch zunehmend von den deutschen Gerichten berücksichtigt, so entschied der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 08.11.2011, Az. 1 StR 231/11, dass eine gewisse Gefährlichkeit des Verurteilten zur Anordnung der nachträglichen Sicherheitsverwahrung nicht ausreiche. In dem konkreten Fall hielt der BGH eine ausreichende Selbstwertgefühl vermittelnde Therapie im Rahmen der Führungsaufsicht für hinreichend.

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 04.05.2011, Az. 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR 2333/08, 2 BvR 571/10, 1152/10; Beschluss vom 08.06.201, Az. 2 BvR 2846/09; Beschluss vom 05.02.2004, Az. 2 BvR 2029/01; Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 17.12.2009, M gegen Deutschland, Beschwerdenummer 19359/04 (englisch), Pressemitteilung vom 17.12.2009 (deutsch); Urteil vom 13.01.2011, Haidn gegen Deutschland, Beschwerdenr. 6587/04, Pressemitteilung vom 13.01.2011 (deutsch); Urteile vom 13.01.2011 Kallweit gegen Deutschland, Beschwerdenr. 17792/07; Mautes gegen Deutschland, Beschwerdenummer 20008/07; Schummer gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 27360/04 und 42225/07, Pressemitteilung vom 13.01.2011 (deutsch); Urteil vom 14.04.2011, Fall Jendrowiak gegen Deutschland, Beschwerdenummer 30060/04 (englisch), Pressemitteilung vom 14.04.2011 (deutsch); Urteil vom 09.06.2011 (englisch), Schmitz gegen Deutschland, Beschwerdenummer 30493/04; Urteil vom 09.06.2011, Mork gegen Deutschland, Beschwerdenummern 31047/04 und 43386/08; Urteil vom 21.11.2011, Schönbrod gegen Deutschland, Beschwerdenummer 48038/06 (englisch), Pressemitteilung vom 21.11.2011; Urteil vom 24.11.2011, O.H. gegen Deutschland, Beschwerdenummer: 4646/08 (englisch); Pressemitteilung vom 24.11.2011 (deutsch); Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.11.2011, Az. 1 StR 231/11

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