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Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat in dem Beschluss vom 23.08.2023, Az. 49/22, entscheiden, dass die Rehabilitierungsgerichte die Haftähnlichkeit von Lebens- oder Arbeitsbedingungen anhand der konkreten Bedingungen des Einzelfalls zu prüfen haben, sie können sich nicht darauf zurückziehen, dass nur (klassische) Freiheitsentziehungen wie z. B. Haftstrafen vom strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erfasst werden können. Denn das Leben unter haftähnlichen Bedingungen oder Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen sind dem Gesetze nach der Freiheitsentziehung gleichgestellt.

Der Betroffene hatte nach einer Verurteilung durch das Stadtgericht von Berlin u. a. wegen des Vorwurfs des staatsgefährdenden Gewaltaktes und der Vorbereitung einer Republikflucht eine zweijährige Haftstrafe verbüßen müssen. Hierfür war er auch rehabilitiert worden. Er erhielt aber zudem ein sogenanntes Berlinverbot im Anschluss an die verbüßte Haft. Er war für mehrere Jahre verpflichtet, seinen Aufenthalt in Gröditz im Kreis Riesa zu nehmen und im dortigen Stahlwerk zu arbeiten. Der Betroffene sei aus der Haftanstalt durch Mitarbeiter der Stasi zwangsweise nach Gröditz verbracht worden. Ihm sei Gröditz als Aufenthaltsort und ein bestimmter, ungeeigneter Raum als Wohnung zugewiesen worden. Der Betroffene habe zwangsweise Arbeit im Stahlwerk leisten müssen, welche unter ständiger Bewachung erfolgt sei. Für den Fall des Verlassens von Wohnort oder Arbeitsplatz sei dem Betroffenen die erneute Inhaftierung angedroht worden. Während dieser Zeit sei es zu Ansprachen und Schikanen durch Stasi-Mitarbeiter gekommen. Der Betroffene sei ständig durch die Volkspolizei kontrolliert und durch die Stasi überwacht worden.

Die Rehabilitierungsgerichte hatten den Antrag auf Rehabilitierung aber unter Verweis darauf als unzulässig zurückgewiesen, dass die erzwungene Arbeit an einem bestimmten Ort und das sogenannte Berlinverbot nicht vom strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erfasst würden. Die geschilderten Lebens- und Arbeitsbedingungen hätten jedenfalls nicht das Ausmaß einer Freiheitsentziehung erreicht. Es habe kein Leben und Arbeiten unter haftähnlichen Bedingungen vorgelegen. Die hiergegen erhobene (Landes-) Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der Verfassungsgerichthof des Landes Berlin erkannte einen Verstoß gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 15 Abs. 4 der Verfassung von Berlin. Der substantielle Anspruch des Betroffenen auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle wurde dadurch verletzt, dass die Rehabilitierungsgerichte die Prüfung des Sachverhaltes auf die Zuweisung des Arbeitsplatzes, eines Wohn- und Aufenthaltsortes und des Berlinverbotes reduziert haben, ohne die vom Betroffenen angeführte strenge Überwachung und sonstige Sonderbehandlung zu berücksichtigen.

Haftähnliche Lebens- und Arbeitsbedingungen im Sinne des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes dürfen nicht bloß im technischen Sinne einer Freiheitsentziehung verstanden werden. Der Begriff der Haftähnlichkeit von Lebens- oder Arbeitsbedingungen sei noch nicht gesetzlich und gerichtlich abschließend geklärt worden. Nach der Gesetzesbegründung werde vielmehr ein Spannungsfeld eröffnet, welches eine streng überwachte Einschränkung der Bewegungsfreiheit, strenge polizeiliche Aufsicht, Absonderung von Dritten und entwürdigende Behandlung einschließe. Es müssten daher alle Umstände des Einzelfalls herangezogen und geprüft werden. Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hob deswegen die ablehnende Rehabilitierungsentscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung an das Kammergericht zurück.

Fundstellen: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 23.08.2023, Az. 49/22; Kammergericht, Beschluss vom 19.04.2022, Az. 7 Ws 5/20 REHA; Landgericht Berlin, Beschluss vom 08.01.2020, Az. 551 Rh 62/19

Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz vermutet (widerleglich), dass die Anordnung der Unterbringung in ein Spezialheim der DDR – also beispielsweise in ein Spezialkinderheim oder einem Jugendwerkhof – der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich jetzt mit der Frage zu beschäfitgen, wann diese Vermutung als widerlegt anzusehen ist und ob hierfür pauschale Erziehungsschwierigkeiten ausreichen können.

Den ursprünglichen Rehabilitierungsantrag hatte das Oberlandesgericht Dresden abgelehnt, weil in den vorliegenden Unterlagen eine Arbeitsbummelei sowie das Fernbleiben des Betroffenen vom Jugendwohnheim vermerkt worden seien. In einem späteren Strafurteil wurde von Schulbummelei und Straftaten gesprochen. Das Oberlandesgericht meinte aus dem Umtstand, dass der Betroffene zwischen der Unterbringung im Spezialkinderheim und im Jugendwerkhof zeitweise in einem Normalkinderheim beziehungsweise in einem Jugendwohnheim untergebracht worden war, den Schluss ziehen zu können, dass die damalige Jugendhilfe bestrebt war, erkennbaren Verbesserungen der Erziehungssituation Rechnung zu tragen. Die Rehabilitierung war demnach abgelehnt worden, weil die gesetzliche Vermutung der Rechtsstaatswidrigkeit als widerlegt angesehen wurde. Die Einweisungsentscheidungen seien angesichts der Hinweise auf Erziehungsschwierigkeiten und eine ungenügende Lernbereitschaft als aus rein fürsorgerischen Gründen erfolgt anzusehen gewesen.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 31.07.2023 diese Argumentation als willkürlich abgelehnt. Eine Rehabilitierung scheide nicht bereits dann aus, wenn  Anhaltspunkte auf die typischen Regeleinweisungsgründe vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht führt in dem Beschluss aus, dass es mittlerweile anerkannt ist, dass in den Spezailheimen ein System herrschte, das sich aus strengster Disziplinierung, entwürdigenden Strafen, genauester Kontrolle des Tagesablaufs, Abschottung von der Außenwelt und ideologischer Indoktrination zusammensetzte, und in dem das Kind oder der Jugendliche zur bedingungslosen Unterwerfung unter die staatliche Autorität gezwungen werden sollte.

Nach den Forschungsergebnissen zur Heimerziehung in der DDR stellten demnach pauschal umschriebene Erziehungsschwierigkeiten, ungenügende Lernbereitschaft, Schul- oder Arbeitsbummelei typische Begründungen für die Heimerziehung in einem Spezialkindereheim dar. Vor diesem Hintergrund können nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sachfremde Zwecke der Unterbringung nicht bereits durch pauschale Verweise auf diese typischen Regeleinweisungsgründe ausgeschlossen werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat daher die ablehnende Rehabilitierungsentscheidung wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot (Art. 3 GG) aufgehoben, da die Ablehnung der gesetzllichen Regelvermutung im vorliegenden Fall in nicht mehr nachvollziehbarer und die Rehabilitierung damit in willkürlicher Weise abgelehnt worden sei.

Fundstelle: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.07.2023, Az. 2 BvR 1014/21

Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil vom 19.10.2022, Az. BVerwG 8 C 15.21, zum verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahren klargestellt, dass Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit durch Sicherheitsbehörden der DDR grundsätzlich verwaltungsrechtlich zu rehabilitieren sein können. Diese Eingriffe können nicht ohne weiteres als systembedingte Nachteile dem allgemeinen Schicksal der Bevölkerung der DDR zugerechnet werden. Eingriffe in die Rechtsgüter Leben und Gesundheit und in die körperliche Bewegungsfreiheit überschreiten demnach immer die Schwelle der für die Annahme einer Verfolgung erforderlichen Eingriffsintensität. Nur bei einer Beeinträchtigung anderer Rechte muss eine wertende Beurteilung vorgenommen und geprüft werden, ob derartige Eingriffe und Benachteiligungen systembedingt mehr oder weniger allgemeines DDR-Schicksal waren. Die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung setzt aber auch insoweit kein über eine ungleiche Betroffenheit hinausgehendes drastisches Sonderopfer voraus.

In dem von mir für den Kläger geführten Revisionsverfahren ging es u. a. um die Überwachung des Klägers durch Gesellschaftliche und Informelle Mitarbeiter der Stasi während seines Grundwehrdienstes bei der NVA, mehrere Festnahmen des Klägers durch Sicherheitsbehörden der DDR, die zum Teil der Durchsetzung eines gegen den Kläger verhängten Verbots privater Fotoausstellungen dienten. Eine weitere Festnahme erfolgte im Zusammenhang mit einem Rockkonzert am Brandenburger Tor, als der Kläger Fotos von weiteren Verhaftungen machte.

Die Überwachung durch Mitarbeiter und Informelle Mitarbeiter der Stasi während des Grundwehrdienstes stellte nach dem Urteil eine hoheitliche Maßnahme im Einzelfall dar, die individuell und konkret auf die Person des Klägers ausgerichtet war. Diese Bespitzelung stellte kein Allgemeinschicksal aller DDR-Bürger dar. Sie verstieß in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Es wurde hierdurch in erheblicher Weise in die Persönlichkeitssphäre des Klägers eingegriffen und mit der operativen Kontrolle kein legitimes Ziel verfolgt. Dabei könne offen bleiben, ob die Maßnahme der politischen Verfolgung gedient habe, da sie jedenfalls willkürlich war. Die Überwachung durch die Staatssichert diente dazu, den Kläger unter Kontrolle zu halten und ihn zu selbstbelastenden Aussagen über mögliche Fluchtpläne zu verleiten.

Sämtliche Festnahmen stellten hoheitliche Maßnahmen im Einzelfall dar, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats unvereinbar waren, da sie als willkürlich anzusehen waren. Zudem war auch das ausgesprochene Verbot privater Fotoausstellungen nicht dem Bereich allgemeiner Beeinträchtigungen der DDR zuzuordnen. Eine solche Maßnahme geht über ein bloßes Ausstellungsverbot im Sinne einer zensierenden Kulturpolitik hinaus und erhält ihren rechtsstaatswidrigen Charakter durch die staatlicherseits hergestellte Verbindung zwischen bereits erlittener Haft, einem gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Verbot privater Fotoausstellungen und der Androhung weiterer Haft im Falle der Zuwiderhandlung.

Fundstelle: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.2022, Az. BVerwG 8 C 15.21

Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss vom 09.12.2021, Az. 2 BvR 1985/16, erneut die Pflicht zur Amtsermittlung des Sachverhaltes im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren betont und hob ablehnende Rehabilitierungsbeschlüsse des Landgerichts Schwerin und des Oberlandesgerichts Rostock daher auf. Die Sache wird nunmehr erneut vor dem Landgericht Schwerin verhandelt.

Der Betroffene war in ein Heim eingewiesen worden, nachdem er zusammen mit der Mutter beim Versuch einer sogenannten Republikflicht über die Tschechoslowakei im Alter von 13 Jahren inhaftiert worden war. Die Mutter wurde strafrechtlich verurteilt und konnte nach einer mehrmonatigen Haftstrafe nach Westdeutschland ausreisen. Ihren Sohn konnte sie erst 6 Monate später aus dem Heim abholen.

Der Rehabilitierungsantrag des betroffenen Heimkindes wurde von den Rehabilitierungsgerichten dennoch abgelehnt. Dies war nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts rechtswidrig, die Gerichte hätten den Sachverhalt umfassend aufklären müssen. Im konkreten Fall hätten sie den Hinweisen auf die Aufnahmebereitschaft des älteren Halbbruders, der zu diesem Zeitpunkt bereits in der Bundesrepublik lebte, sowie der Großeltern stiefväterlicherseits nachgehen müssen.

Zudem hätte aufgeklärt werden müssen, weshalb der Betroffene nach der Ausreise der Mutter noch weitere sechs Monate im Heim verbringen musste. Das Rehabilitierungsgericht durfte hier nicht einfach von organisatorisch-bürokratischen Hemmnissen ausgehen, ohne dies weiter aufgeklärt zu haben. Zumal sich für das Vorliegen der angeblich organisatorisch-bürokratischer Hemmnisse in den Akten nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine dokumentierten Verfahrensschritte von einer bestimmten Dauer finden.

Vom Oberlandesgericht angenommene Unterhaltsrückstände und diesbezügliche Unstimmigkeiten dürften jedenfalls unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kein anerkennenswertes Hemmnis für die verzögerte Heimentlassung darstellen. Das Bundesverfassungsgericht nahm insoweit auch einen Verstoß gegen das Willkürverbot durch die Begründung de abgelehnte Rehabilitierung an.

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.12.2021, Az. 2 BvR 1985/16, Pressemitteilung Nr. 110/2021 „Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde betreffend die Rehabilitierung des Beschwerdeführers wegen einer Heimunterbringung in der ehemaligen DDR“ vom 29.12.2021

Was hat sich die neue Koalition aus Sozialdemokraten,  Grünen und Freien Demokraten zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts vorgenommen?

Laut dem geschlossenen Koalitionsvertrag soll die Beantragung und Bewilligung von Hilfen und Leistungen für Opfer der SED-Diktatur -insbesondere für gesundheitliche Folgeschäden- erleichtert werden. Die Opferrente soll dynamisiert werden. Die Definition der Opfergruppen soll an die Forschung angepasst werden.

Die Erinnerungskultur und das begangene SED-Unrecht sollen bei der Ausweisung des Naturschutzprojekts „Das europäische Grüne Band“ auf dem ehemaligen Grenzstreifen berücksichtigt werden. Die Einrichtung des Archivzentrums SED-Diktatur soll unterstützt werden, die Standorte der Außenstellen des Stasi-Unterlagen-Archivs sollen qualitativ weiterentwickelt werden.

Zudem soll ein bundesweiter Härtefallfond für die Opfer eingerichtet werden und hierfür die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge weiterentwickelt werden. Sehr konkret sind diese Punkte im Koalitionsvertrag nicht ausgestaltet, man darf gespannt bleiben. Die Erleichterung der Anerkennung von gesundheitlichen Folgeschäden erscheint mir jedenfalls dringend notwendig zu sein.

Fundstelle: Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, „Mehr Fortschritt wagen Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ vom 24.11.2021

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat sich in dem Beschluss vom 16.06.2021, Az. 108/20, mit einem Rehabilitierungsverfahren befasst, in dem es um einen Betroffenen ging, der u. a. im Spezialkinderheim „Rankenheim“ in Groß-Köris, im Sonderkinderheim in Burgstädt, im Durchgangsheim in Alt-Stralau, im Jugendwerkhof in Hennickendorf untergebracht worden war und hierfür seine Rehabilitierung beantragt hatte. Für die Zeit im Jugendwerkhof Torgau war der Antragsteller bereits in einem gesonderten Verfahren rehabilitiert worden.

Der Antragsteller hatte seinen Antrag auf Rehabilitierung damit begründet, dass die Einweisungen politisch motiviert waren, er mehrfach versucht habe, im Alter von neun Jahren die innerdeutsche Grenze zu passieren und zu seinem in die Bundesrepublik Deutschland ausgereisten Vater zu ziehen. Er verwies zudem auf die menschenunwürdige Behandlung während seiner Heimunterbringungen, wobei er schwerste körperliche und seelische Misshandlungen erlebt habe.

Das Kammergericht lehnte diesen Antrag ab, da angeblich Fürsorgegründen für die Einweisungen vorgelegen hätten. Die Mutter des Antragstellers habe Alkoholprobleme gehabt, an deren Folgen sie 1974 auch verstorbenen sei. Zudem habe es unentschuldigtes Fehlen des Antragstellers in der Schule gegeben. Die gesetzliche Vermutung rechtsstaatswidriger Einweisungsgründe sei daher widerlegt.

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hob nun die ablehnende Entscheidung des Kammergerichts wegen Verstoßes das Willkürverbot, den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes und wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auf.

Der Verfassungsgerichtshof führt in der Entscheidung aus, dass das Gebot effektiven Rechtsschutzes grundsätzlich zu einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Verfahrensgegenstandes führen muss. Der Antragsteller hatte einen Verstoß gegen sein Recht auf Ausreise dargelegt, welches zu den grundlegenden Menschenrechten gehört. Das Gericht hätten daher die näheren Umstände der Ausreise des Vaters, der Heimeinweisungen und der Fluchtversuche untersuchen müssen. Das Gericht hätte insoweit alle Erkenntnisquellen wie z. B. die Vernehmung des Betroffenen und der von ihm genannten Zeugen zu nutzen gehabt.

In dem vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidenden Fall kam zudem eine Rehabilitierung wegen groben Missverhältnisses zwischen dem Anlass der Heimeinweisung und der angeordneten Unterbringung in Betracht. Dafür hätte das Kammergericht die damals herrschenden Lebensbedingungen in den Heimen im Rahmen Amtsermittlungspflicht aufklären müssen. Dem stand auch nicht entgegen, dass die Mutter ab dem Jahre 1963 nicht mehr bereit war, den Antragsteller wieder bei sich aufzunehmen. Es in dem Fall nämlich Hinweise darauf gab, dass die fehlende Aufnahmebereitschaft des Kindes durch die Mutter zumindest auch durch die Angst vor Repressalien verursacht worden war oder sich sonst als kausale Folge der zwangsweisen Einweisung mit daran anknüpfender Entfremdung und der Angst darstellte.

Die Annahme des Kammergerichts, dass die gesetzliche Vermutung einer politischen oder sachfremden Einweisungsmotivation im behandelten Fall widerlegt worden sei, verstoße zudem gegen das Willkürverbot. Die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen gehe nur dann zu Lasten des Antragstellers, wenn die gesetzliche Vermutung nicht eingreife. Wenn die Ermittlungen des Gerichts auf fürsorgliche Gesichtspunkte und auf sachfremde bzw. politische Gründe der Einweisung hindeuten, muss feststehen, dass der eine oder der andere Grund ausschlaggebend war. Steht dies nach Ausschöpfung aller möglichen Erkenntnisquellen nicht fest, greift die gesetzliche Vermutung zu Gunsten des ehemaligen Heimkindes. Gegen die Widerlegung der Regelvermutung spreche zudem, wenn der Betroffene „nahezu ausnahmslos in der Umerziehung dienenden, teil geschlossenen Heimen untergebracht war und nicht in regulären, offenen Kinderheimen.“

Der verfassungsrechtliche Verstoß gegen das rechtliche Gehör liege darin, dass das Gericht die Argumentation zu den Ausreisebestrebungen von Vater und Sohn und der alternativen Unterbringung bei seinem Vater in der Bundesrepublik Deutschland als unbeachtlich angesehen habe. Es hätte diesen Vortrag in Betracht ziehen und ihm gegebenenfalls weiter nachgehen müssen. Das Kammergericht muss nun erneut über den Fall entscheiden.

Fundstelle: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 16.06.2021, Az. 108/20

Das Berliner Institut für Sozialforschung hat die heutige Lebenslage der Opfer von DDR-Unrecht und deren Familienangehöriger in Brandenburg wissenschaftlich erforscht. Die Sozialstudie kommt zu dem Ergebnis, dass die extremen Belastungen und die Ausnahmeerfahrungen den weiteren Lebensverlauf der meisten Betroffenen negativ beeinflusst haben. Das verfügbare Einkommen der Betroffenen stelle sich oft als sehr prekär dar und liege deutlich unter dem Durchschnitt der Bevölkerung im Land Brandenburg. 49 % der Betroffenen verfügen über ein persönliches monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 €.

Die Betroffenen klagen noch heute in 70 % der Fälle über psychische Folgen und in 38 % der Fälle über körperlichen Folgen des erlittenen Unrechts. Häufig treten bei ihnen beispielsweise Schlafstörungen, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen auf.

Die negativen materiellen  Folgen  und die Auswirkungen des Unrechts auf die berufliche Laufbahn wirken bis heute stark nach. Betroffene die für das erlittene Unrecht juristisch rehabilitiert wurden,  schätzen nach den Ergebnissen der Studie  ihren  Gesundheitszustand  als  besser  ein  und sind zufriedener mit der Demokratie in Deutschland. Betroffene von DDR-Unrecht stehen dabei der  demokratischen  Gesellschaft heute ohnehin insgesamt positiver gegenüber als der brandenburgische Bevölkerungsdurchschnitt.

Fundstellen: Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen DiktaturBerliner Institut für Sozialforschung GmbH, „Studie zu aktuellen Lebenslagen von Menschen aus dem Land Brandenburg, die in der SBZ / DDR politisch verfolgt wurden oder Unrecht erlitten und deren mitbetroffenen Familien“

Der Bundestag hat am 24.10.2019 in dritter Lesung umfangreiche Änderungen an den Rehabilitierungsgesetzen für DDR-Unrecht verabschiedet.

Danach wird eine Vermutung aufgestellt, dass die Unterbringungsanordnung in einem Kinderheim rechtsstaatswidrig war, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare der Zwangsumerziehung dienende Einrichtung stattfand. Dieselbe Vermutung gilt, wenn gleichzeitig mit der Unterbringung der Kinder rechtsstaatswidrige, freiheitsentziehende  Maßnahmen  gegen  die  Eltern oder Elternteile vollstreckt wurden. Es muss ein Sach- und Zeitzusammenhang bestehen.

Die Opferrente wird von 300,00 € monatlich auf 330,00 € erhöht. Die dafür notwendige Haftdauer wird von 180 Tagen auf 90 Tage halbiert! Verfolgte nach dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz erhalten statt 214,00 € monatlich nunmehr 240,00 € (bzw. für Rentner 180,00 € statt wie bisher 153,00 €).

Heimkinder, die wegen der rechtsstaatswidrigen Haft der Eltern ins Heim gekommen sind und nicht rehabilitiert wurden, weil sie nicht selbst verfolgt wurden, bekommen trotz einer negativen Rehabilitierungsentscheidung einen eigenen Anspruch auf die Opferrente (wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen). Sie können nunmehr also direkt die Opferrente beantragen.

Die Antragsfristen werden gestrichen.

Für festgestellte Zersetzungsmaßnahmen, für die bisher keine Ausgleichsleistungen gezahlt wurden, wird eine einmalige Zahlung in Höhe von 1.500,00 € eingeführt.

Fundstelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 24.10.2019

Die Bundesregierung hat -wie bereits berichtet- einen Gesetzesentwurf  zur Änderung der Rehabilitierungsgesetze für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR beschlossen. Danach sollen die Fristen zur Antragsstellung gestrichen und die Beweisführung erleichtert werden (vgl. Blogartikel vom 17.05.2019: „Bundesregierung will Fristen für Rehabilitierungsanträge für DDR-Unrecht streichen“). Aber was hat die Bundesregierung genau geplant? Die Antragsfristen sollen gestrichen werden, derzeit gilt eine Frist zur Antragstellung bis zum 31.12.2019. Das betrifft sowohl Anträge zur strafrechtlichen als auch zur beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung.

Weiterhin soll für den Fall, dass das Gericht nicht feststellen kann, dass die Anordnung eine Heimunterbringung der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, das Gericht diese Tatsache zugunsten des jeweiligen Antragstellers für festgestellt erachten können. In § 10 StrRehaG soll der folgende dritte Absatz eingefügt werden:

„Kann die Tatsache, dass eine Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, nicht festgestellt werden,


1. infolge der Lage, in die der Antragsteller durch die Unterbringung geraten ist,
oder
2. infolge des Umstandes, dass

a) Urkunden verloren gegangen sind,
b) Zeugen verstorben oder unauffindbar sind oder
c) die Vernehmung von Zeugen mit Schwierigkeiten verbunden ist, die in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Aussage stehen,

so kann das Gericht diese Tatsache unter Würdigung aller Umstände zugunsten des Antragstellers für festgestellt erachten.“

Es stellt in den Rehabilitierungsverfahren ein häufiges Problem dar, dass Unterlagen wie z. B. die ursprüngliche Jugendhilfeakte mittlerweile vernichtet wurden oder nicht mehr auffindbar sind. Teilweise werden von den Behörden sogar jetzt noch Unterlagen vernichtet („kassiert“), weil die Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien und nicht in die entsprechende Archive überführt. Diese Änderung könnte daher vielen Betroffenen erheblich weiter helfen, wenn sie denn tatsächlich Gesetzeskraft erlangt.

Für Kinder von politisch Verfolgten Eltern, die ins Heim eingewiesen wurden, bleibt die Ausgangslage für eine Rehabilitierung schwierig (vgl. auch Blogartikel vom 17.06.2018: „War eine DDR-Heimeinweisung eines Kindes rechtsstaatswidrig bei politischer Verfolgung der Eltern?“). Für ehemalige Heimkinder von politisch verfolgten Eltern soll eine neue Regelung in § 18 StrRehaG eingeführt werden, damit die ehemaligen Heimkinder trotz negativer Rehabilitierungsentscheidung Unterstützungsleistungen von der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge erhalten können. Eine selbstständige Rehabilitierung ist für die Betroffenen in dem Entwurf der Bundesregierung (anders als noch im Entwurf des Bundesrats vom 03.11.2017, BR-Drs. 642/17) nicht vorgesehen. Eine Gleichstellung von Kindern, die wegen der politischen Verfolgung der Eltern eine Heimunterbringung in der DDR erleiden mussten, mit anderen rehabilitierten Heimkindern ist also bedauerlicher Weise nicht vorgesehen. Die ehemaligen Heimkinder von politisch verfolgten Eltern hätten danach keinen Anspruch auf eine eigene Rehabilitierung. Sie könnten aber immerhin Unterstützungsleistungen bei der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge beantragen. Die rechtliche Position von ins Heim eingewiesenen Kindern politisch verfolgter Eltern bliebe also schwierig.

Weitere bekannte Schwachstellen der Rehabilitierungsgesetze werden dagegen von der Bundesregierung überhaupt nicht in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Der Bundesrat hat in einer Entschließung vom 19.10.2018 beispielsweise darauf hingewiesen, dass u. a. keine Ausgleichsleistungen für Opfer von Zersetzungsmaßnahmen vorgesehen sind, dass für verfolgte Schüler kaum Leistungen beanspruchen können, Opfer von Zwangsaussiedlungsmaßnahmen nicht ausreichend entschädigt werden,  die Verfolgungszeit für eine berufliche Benachteiligung mit mindestens drei Jahren viel zu lang angesetzt ist. Es bleibt nur zu hoffen, dass im Gesetzgebungsverfahren noch entsprechende Verbesserungen eingefügt werden können.

Fundstellen: Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Informationsseite zum Gesetzgebungsvorhaben vom 15.05.2019; Bundesrat, Gesetzesentwurf vom 03.11.2017, BR-Drs. 642/17; Entschließung vom 19.10.2019, BR-Drs. 316/18

Nach der Pressemitteilung der Bundesregierung vom 15.05.2019 sollen die Fristen für Rehabilitierungsanträge für DDR-Unrecht gestrichen werden. Bislang gilt als letzter möglicher Termin für die Antragstellung der 31.12.2019.

Die Beweisführung bezüglich der Rehabilitierung von DDR-Heimkindern soll erleichtert werden. Es soll insbesondere für ehemalige Heimkinder, die wegen der politischen Verfolgung ihrer Eltern in ein Heim, Spezialheim oder Jugendwerkhof eingewiesen wurden, eine einfachere Regelung zur Rehabilitierung geschaffen werden.

Bereits im Koalitionsvertrag war vereinbart worden, dass die Antragsfristen „im Einvernehmen mit den Bundesländern“ aufgehoben werden sollen und geprüft werden soll, wie die bestehenden rechtlichen Grundlagen der Entschädigung für die Heimkinder verbessert werden können. Es bleibt daher abzuwarten, wie die neue konkrete rechtliche Regelung ausgestaltet sein wird. Bislang hat die Bundesregierung nur einen Gesetzentwurf beschlossen, noch gilt die alte Rechtslage.

Fundstelle: Bundesregierung, Pressemitteilung „Mehr Unterstützung für DDR-Opfer“ vom 15.05.2019

Immer wieder wird kritisiert, dass die Rechtsprechung in den Bundesländern bezüglich der Rehabilitierung von DDR-Unrecht relativ stark voneinander abweicht. Was in einem Bundesland als rechtsstaatswidrig rehabilitiert wird, wird von Gerichten in anderen Bundesländern gehalten. Gerade was die Rehabilitierung von ehemaligen Heimkindern angeht, bestehen in der Rechtsprechung größere Divergenzen (vgl. „Rechtsstaatswidrigkeit einer Heimeinweisung in ein „Normalkinderheim“ der DDR“ vom 17.09.2018).

Das Kammergericht in Berlin vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei Heimunterbringungen in der DDR nur die Einweisungsverfügung als solche, nicht hingegen deren Folgen, also die konkreten Lebensbedingungen in dem jeweiligen Heim, zu prüfen sind. Der gegenläufigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt in Naumburg schließt sich das Kammergericht ausdrücklich nicht an. Seit einigen Jahren hebt das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt Einweisungen von Kindern und Jugendlichen in Spezialheime und Jugendwerkhöfe aufgrund des dort verfolgten Zwecks der Umerziehung in der Regel als unverhältnismäßig auf.

Seine restriktive Rechtsprechung muss das Kammergericht nun aber überprüfen. Denn der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat mit Beschluss vom 16.01.2019, Az. 145/17, eine Entscheidung des Kammergerichts zu DDR-Heimeinweisungen aufgehoben. Das Verfassungsgericht sah das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 15 Abs. 4 Satz 1 der Berliner Verfassung dadurch verletzt, dass  das Kammergericht nicht ausreichend aufgeklärt hat, ob und in welchem Umfang es in den Spezialkinderheimen der DDR systematisch zu menschenrechtsverletzenden Übergriffen gekommen ist und was Ursache dafür war. Das Gericht ist seiner Pflicht zur Amtsermittlung nicht nachgekommen, weil es sich mit dem aktuellen Forschungsstand zu den Lebensumständen in den Spezialheimen der DDR nicht nachvollziehbar auseinandersetzt hat. Der Verfassungsgerichtshof führt wörtlich in dem Beschluss vom 16.01.2019 aus:

„Gegebenenfalls hätte es nahegelegen, mithilfe eines Sachverständigen weiter zu ermitteln, ob und in welchem Umfang es in den Spezialheimen […] systematisch zu menschenrechtsverletzenden Übergriffen gekommen ist und was Ursache dafür war.“

Eine Änderung der Berliner Rechtsprechung zu den Einweisungen in Spezialheime und Jugendwerkhöfe erscheint daher möglich, die nächste Entscheidung des Kammergerichts wird es zeigen.

Fundstelle: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 16.01.2019, Az. 145/17

Wie bereits mehrfach berichtet, begegnet die Rehabilitierung von Heimkindern in der DDR oft rechtlichen Schwierigkeiten (vgl. „War eine DDR-Heimeinweisung eines Kindes rechtsstaatswidrig bei politischer Verfolgung der Eltern?“ vom 17.06.2018, „Eine der politischen Repression dienende Heimeinweisung ist rechtsstaatswidrig“ vom 12.11.2017). In der DDR gab es im Wesentlichen drei Typen von Heimen sogenannte Normalkinderheime, Spezialheime und Jugendwerkhöfe. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt in Naumburg war die Einweisung in ein Spezialheim oder in einen Jugendwerkhof im Regelfall rechtsstaatswidrig, wenn der Eingewiesene nicht zuvor durch massive Straffälligkeit aufgefallen ist oder sich gemeingefährlich verhalten hat. Die Einweisung ist dann als unverhältnismäßig zu beurteilen, sie war nicht mehr am Kindswohl orientiert, sondern diente der Umerziehung (vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 26. Oktober 2017, Az. 2 Ws (Reh) 36/17). Das Oberlandesgericht führt in dem Beschluss vom 26.10.2017 aus, dass es aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse überzeugt sei, dass die Erziehung in Spezialheimen der Jugendhilfe maßgeblich darauf ausgerichtet war, die Persönlichkeit der Betroffenen zu brechen, um aus ihnen Persönlichkeiten nach den ideologischen Vorstellungen des SED-Regimes zu formen. Zu diesem Zwecke wurden schwere Menschenrechtsverletzungen planmäßig eingesetzt, weshalb regelmäßig eine Rechtsstaatswidrigkeit bei einer Einweisung in ein Spezialheim (oder einen Jugendwerkhof) angenommen wird.
Andere Rehabilitierungsgerichte sehen diese Rechtsprechung kritisch und prüfen auch bei Einweisungen in einen Jugendwerkhof vor allem die in dem Einweisungsbeschluss wiedergegebenen Gründe auf ihre Rechtsstaatswidrigkeit. Die in den Heimen herrschenden Umstände treten dann bei der Prüfung dagegen in den Hintergrund. Das Brandenburgische Oberlandesgericht prüft dagegen -ähnlich wie das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt- im Rahmen einer Einzelfallprüfung auch, ob die Einweisung gegen das Übermaßverbot wegen der in dem jeweiligen Heim herrschenden Umstände verstieß.
In dem von mir für das ehemalige Heimkind geführten Rehabilitierungsverfahren hatte das Brandenburgische Oberlandesgericht über die Einweisung in ein sogenanntes „Normalkinderheim“ zu entscheiden. Das Oberlandesgericht kam auch in diesem Verfahren zu dem Ergebnis, dass die Einweisung als rechtsstaatwidrig zu beurteilen war, weil ein grobes Missverhältnis zwischen Anlass für die Unterbringungsentscheidung und der angeordneten Rechtsfolge vorlag. Die Einweisung des Jugendhilfeausschusses wurde darauf gestützt, dass bezüglich der häuslichen Ordnung und Sauberkeit in der Familie Defizite bestanden haben sollen und beim Bruder erste Verwahrlosungserscheinungen aufgetreten sein sollen. Die Kinder seien schmutzig und ohne die notwendigen Arbeitsmaterialien in der Schule erschienen. Sie hätten eine ungenügende Arbeitseinstellung gezeigt, keine Hausaufgaben angefertigt und zeitweilig den Unterricht gebummelt. Die Eltern seien keiner geregelten Arbeit nachgegangen, weswegen es zu finanzielle Problemen gekommen sei. Die Betroffene habe sich angeblich durch Lügen und Diebstähle isoliert, ihr Freundeskreis habe sich zudem aus Kindern sozialgefährdeter Familien zusammengesetzt.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat richtiger Weise festgestellt, dass das keine tragfähige Begründung für eine gravierende soziale Gefährdung darstelle, die einen plausiblen Anlass für die Herauslösung der Betroffenen aus dem Elternhaus rechtfertigen könnte. Der Beschluss stehe vielmehr im Einklang mit der in der DDR herrschenden Rechtspraxis, ein anderes Leben als das eines fleißigen und staatsbejahenden Schülers als asozial zu stigmatisieren. Die Heimunterbringung sollte auch nach dem DDR-Recht immer das letzte Mittel sein, was hier erkennbar nicht der Fall war. Die Einweisung stellt daher auch in Anbetracht der damit verbundenen Konsequenzen einen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar und wurde daher zutreffend als rechtsstaatswidrig aufgehoben.

Fundstellen: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21.06.2018, Az. 2 Ws Reha 14/17

Das Landgericht Potsdam hat mit Beschluss vom 12.05.2017, Az. BRH 33/15, BRH 36/15, die Heimeinweisung der zwei Betroffenen in unterschiedliche Kinderheime in der DDR wegen politischer Verfolgung als rechtsstaatswidrig aufgehoben. Es weicht damit scheinbar von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab. Der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung, dass eine Heimunterbringung der Kinder nicht als rechtsstaatswidrig aufzuheben ist, wenn diese allein aus dem Anlass erfolgte, dass die Eltern infolge ihrer politisch motivierten Inhaftierung an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert waren (BGH, Beschluss vom 05.03.2015, Az. 4 StR  525/13). Denn dann richte sich die politische Verfolgung nicht unmittelbar gegen die Kinder, sondern sei lediglich die Folge der politischen Verflogung der Eltern.

In dem von dem Landgericht Potsdam entschiedenen Fall hatten die Eltern versucht zusammen mit ihren beiden betroffenen Kindern im Juli 1971 von Bulgarien aus mit einem Faltboot in die Türkei überzusetzen. Bei diesem Fluchtversuch wurden sie festgenommen und inhaftiert. Die Eltern wurden von der Stasi vernommen und  wegen versuchter Republikflucht und Spionage zu Freiheitsstrafen von 7 bzw. 5 Jahren verurteilt. Die Kinder wurden seit der Inhaftierung der Eltern in Kinderheimen untergebracht. Bis auf einen Urlaubsaufenthalt bei der Großmutter und einer Tante blieben die Kinder bis zur Amnestie der Eltern im Heim. Die Kinder wurden im Februar 1973 aus den Kinderheimen zu ihren Eltern entlassen. Mehrere Verwandte der Kinder wären damals bereit gewesen, die Kinder bei sich aufzunehmen, wurden aber von den Behörden der DDR nicht gefragt, ihnen wurde vielmehr -wie den Eltern- die Unterbringung und der Aufenthaltsort der Kinder verheimlicht. Ein Briefkontakt der Kinder mit den Verwandten wurde von den DDR-Behörden verhindert.

Das Landgericht Potsdam hat die Heimeinweisungen der Kinder in dem Beschluss vom 12.05.2017, Az. BRH 33/15, BRH 36/15, für rechtsstaatswidrig erachtet, weil die Unterbringung der Kinder nicht allein dem Umstand geschuldet war, dass die Eltern wegen ihrer Inhaftierung die Sorge und die Erziehung der Kinder nicht wahrnehmen konnten. Die Kinder sollten vielmehr für den missglückten Fluchtversuch der Eltern mitbestraft werden, weshalb auch die Kotaktsperre erlassen wurde. Die Kinder sind deshalb wegen verhängter Sippenhaft selbst Opfer unmittelbarer politischer Verfolgung geworden und entsprechend zu rehabilitieren.

Fundstelle: Landgericht Potsdam, Beschluss vom 12.05.2017, Az. BRH 33/15, BRH 36/15

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in dem von mir für den Antragsteller geführten Verfassungsbeschwerdeverfahren mit Beschluss vom 02.05.2016 entschieden, dass ein Gericht gegen die durch die Verfassung verbürgte Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Absatz 1 i. V. m. Art. 20 Absatz 3 GG) verstößt, wenn es überspannte Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines Antrages auf Prozesskostenhilfe anlegt. Die Erhebung von Gebühren für eine Anhörungsrüge im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren stellt zudem einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) dar.

Der Antragsteller hatte seine Rehabilitierung wegen DDR-Unrechts bezüglich seiner Einweisung in das Spezialkinderheim „Blücherhof“ nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) beantragt. Die Heimeinweisung war damals lediglich allgemein mit groben Disziplinarverstößen, einer  unzureichenden Lernbereitschaft, einem unbeherrschten Auftreten und einer Außenseiterstellung im Klassenkollektiv begründet worden. Wobei als Ursachen für das angebliche Verhalten des Kindes ein nicht immer genügend abgestimmtes einheitliches Erziehungsverhalten und eine fehlende pädagogischer Konsequenz der Eltern angegeben wurde.

Der Antrag auf Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit der Heimeinweisung wurde vom Landgericht Neubrandenburg abgelehnt. Das Oberlandesgericht Rostock lehnte die dagegen eingelegte Beschwerde ab. Zudem wurde der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Für die gegen die Beschwerdeentscheidung erhobene Anhörungsrüge erhob das Oberlandesgericht eine Gebühr in Höhe von 60,00 €.

Das Bundesverfassungsgericht stellt in der Entscheidung vom 02.05.2016 nunmehr fest, dass die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe durch das Oberlandesgericht Rostock auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruht. Das Oberlandesgericht hatte zur Begründung der Versagung der Prozesskostenhilfe darauf abgestellt, dass die Vorinstanz den Rehabilitierungsantrag mit zutreffender Begründung abgelehnt habe. In der Beschwerdeinstanz seien keine grundsätzlich neuen Tatsachen vorgebracht worden. Der Beschwerdeführer habe lediglich eine abweichende rechtliche Bewertung vorgetragen, weshalb die Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht abzulehnen war.

Nach der zutreffenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, hat das Oberlandesgericht Rostock damit die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Beschwerde überspannt. Denn bei objektiver Betrachtung lagen hier gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass die Heimeinweisung in einem groben Missverhältnis zu ihrem Anlass stand und dass der Heimeinweisung ein sachfremder Zweck zugrunde lag. Daher war hier eine umfangreiche Würdigung der Sach- und Rechtslage veranlasst. Die Annahme fehlender Erfolgsaussichten im Rahmen der Prozesskostenhilfegewährung war demgemäß als grundrechtswidrig anzusehen.

Zudem verstößt die Erhebung einer Gebühr für die Anhörungsrüge im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren gegen das Willkürverbot. Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz ordnet ganz eindeutig die Kostenfreiheit des Verfahrens an (vgl. § 14 Abs. 1 StrRehaG). Das Oberlandesgericht hatte dennoch argumentiert, dass das Verfahren über die Anhörungsrüge ein selbstständiges Verfahren sei, das nicht mehr dem strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren zuzurechnen sei.

Das Bundesverfassungsgericht führt zu dieser Gesetzesauslegung des Oberlandesgerichts Rostock zutreffend aus: „Die gegenläufige Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar. Der vom Oberlandesgericht für das Anhörungsrügeverfahren erhobenen Gerichtsgebühr fehlt es bereits an einer rechtlichen Grundlage.“

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.05.2016, Az. 2 BvR 1267/15; Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 22.06.2015, Az. 22 Ws_Reha 22/15; Beschluss vom 29.05.2015, Az. 22 Ws_Reha 22/15; Landgericht Neubrandenburg, Beschluss vom 11.11.2014, Az. 63 Rh 48/14

Heimkinder aus der DDR können sich bekanntlich für ihre Einweisung rehabilitieren lassen, wenn sie Opfer politischer Verfolgung waren oder wenn der Heimeinweisung sachfremde Erwägungen bzw. ein grobes Missverhälrnis zugrunde lagen. Die für die Rehabilitierungen zuständigen Kammern der Landgerichte neigen dazu, die Prüfung der Rechtsstaatlichkeit auf den Einweisungsbeschluss zu beschränken. Insoweit klärt der Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 16.05.2014 die Frage, ob auch ein bereits in ein Wohnheim eingewiesenes Kind für eine Verlegung aus einem Spezialkinderheim in einen Jugendwerkhof rehabilitiert werden kann. In dem zu verhandelnden Fall war die Verlegung durch die Aufdeckung einer versuchten Republikflucht des Betroffenen veranlasst worden. Er soll der Hauptinitiator einer geplanten Durchbrechung der Staatsgrenze nach Westdeutschland gewesen sein, bei der zehn weitere Jugendliche mitwirken sollten. Die poltisch-ideologische Haltung des Antragstellers wurde als ausgesprochen staatsfeindlich bezeichnet. Der Antragssteller soll daneben in dem Spezialkinderheim durch Normverstöße gegen die Hausordnung, Sachbeschädigungen, Zerstörungen, Entweichungen, Alkoholmissbrauch und deliktische Handlungen aufgefallen sein. Das Landgericht Erfurt hatte den Antragsteller für die Verlegung in den Jugendwerkhof wegen der versuchten Republikflucht rehabilitiert und die Anordnung der Unterbringung in einem Jugendwerkhof für rechtsstaatswidrig erklärt. Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, die Rehabilitierung abzulehnen und gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt Beschwerde eingereicht. Die Staatsanwaltschaft argumentierte in der Beschwerde u. a., dass der Antragsteller wegen seiner im Spezialkinderheim gezeigten Verhaltensauffälligkeiten früher oder später ohnehin in einen Jugendwerkhof verlegt worden wäre. Die geplante Republikflucht sei lediglich letzter Anlass der Unterbringung in dem Jugendwerkhof gewesen. Die Freiheit sei dem Betroffenen zudem bereits zuvor durch die Einweisung in das Spezialkinderheim entzogen worden. Das Thüringer Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Anordnung der Unterbringung in dem Jugendwerkhof „ohne jeden Zweifel Ausdruck einer politischen Verfolgung des Betroffenen“ war, „denn sie war die ‚von den Sicherheitsorganen verlangte‘ Reaktion auf die zuvor aufgedeckte Vorbereitung eines ungesetzlichen Grenzübertritts (Republikflucht)“. Ob der Betroffene aus anderen Gründen in den Werkhof verlegt worden wäre oder in dem Spezialkinderheim geblieben wäre, ist nach der Entscheidung unbeachtlich, weil es sich bei diesen hypothetischen Erwägungen um Reserveursachen handelt, die bei der Entscheidung keine Rolle spielen dürfen.

Auch bei einer Verlegung von einem Normalkinderheim in ein Spezialkinderheim wegen des Vorwurfes der Republikflicht nimmt das Thüringer Oberlandesgericht eine Rehabilitierung des Betroffenen vor (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 01.06.2011, Az. 1 Ws Reha 11/11 | 1 Reha 117/10 LG Erfurt).

Fundstellen: Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.05.2014, Az. Ws Reha 21/14 | 1 Reha 122/13 Landgericht Erfurt; Beschluss vom 01.06.2011,  Az. 1 Ws Reha 11/11 | 1 Reha 117/10 LG Erfurt

Der Fond „Heimerziehung in der DDR“ wird von ursprünglich 40 Millionen auf 200 Millionen Euro aufgestockt, wie das Bundeskabinett am 09.07.2014 zusammen mit den ostdeutschen Bundesländern beschlossen hat. Betroffene ehemalige Heimkinder erhalten Unterstützung aus dem Fond für erlittenes Unrecht und Leid in den DDR-Heimen.  Aus dem Fond kann für die Traumatisierungen, Beeinträchtigungen und Folgeschäden Hilfe gewährt werden. Benachteiligungen in der Rentenversicherung können beispielsweise ausgeglichen werden. Ehemalige Heimkinder sollen zudem bei der Aufarbeitung unterstützt werden. Die Forderungen ehemaliger Heimkinder müssen allerdings bis zum 30.09.2014 angemeldet werden. Neben dem Hilfefond besteht für ehemalige DDR-Heimkinder in geeigneten Fällen auch die Möglichkeit die Heimeinweisung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz für rechtsstaatswidrig erklären zu lassen.

Fundstellen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Pressemitteilung vom 09.07.2014

Die ostdeutschen Bundesländer und der Bund stellen einen Hilfe-Fond  für Heimkinder aus der ehemaligen DDR mit einem Umfang von 40 Millionen Euro zur Verfügung. Der Zweck des Fonds ist die Förderung der Hilfe für ehemalige Heimkinder in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990. Anträge können seit dem 01.07.2012 gestellt werden. Es sollen vor allem verschiedene individuelle Reha-Maßnahmen und Unterstützungshilfen für ehemalige Heimkinder finanziert werden, die in der ehemaligen DDR unter Zwang, Gewalt und Missbrauch gelitten haben. Durch den Fond soll zudem einer Minderung von Rentenansprüchen der Opfer entgegengewirkt werden. Für die Antragstellung gilt eine Frist bis zum 30. Juni 2016. Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass es sein könnte, dass die zur Verfügung gestellten Mittel bereits vorher aufgebraucht sind, dann endet der Fond laut Satzung automatisch. Die erlittenen Schädigungen durch Heimunterbringung müssen vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden.

Fundstellen: Bundesregierung,  Nachricht vom 13.06.2012; Fond „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990”, Satzung vom 24.04.2012

Laut Presserklärung des Verwaltungsgerichts Berlin besteht ein Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) auch für Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 01.12.2011, Az. VG 2 K 91.11 entschieden, es gab damit der Klage auf Auskunft über die im November 2009 erstellte Ausarbeitung „Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der Resolution A/33/426 der Vereinten Nationen zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestrischen Lebensformen“ des Wissenschaftlichen Dienstes statt. Das begründete das Verwaltungsgericht Berlin damit, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages lediglich der Vermittlung von Wissen und Information diene, er selbst verrichte aber keine parlamentarische Arbeit. Der wissenschaftliche Dienst stellt somit eine Behörde im Sinne des IFGs dar und muss daher auch Auskünfte erteilen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Verwaltungsgericht die Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen.

Fundstellen: Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 01.12.2011, Az. VG 2 K 91.11; Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 01.12.2011; Vorbericht mit allgemeinen Informationen zum IFG

Wie berichtet, sind noch mindestens 13 Richter in Brandenburg tätig, die früher mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zusammengearbeitet haben. In meinem Blogeintrag vom 04.11.2011 hatte ich meine Befürchtungen bereits angedeutet, dass insoweit ein Zusammenhang mit der restriktiven Rechtsprechung der Gerichte zur Aufhebung von rechtsstaatswidrigen DDR-Gerichtsurteilen (Rehabilitierung) bestehen könnte. Jetzt hat der Justizminister Brandenburgs, Herr Volkmar Schöneburg, nach Medienberichten eingeräumt, „dass seit 1990 sechs von insgesamt 13 belasteten Richtern Prozesse geleitet haben, in denen es um die Rehabilitierung von DDR-Unrechtsopfern und die Rückgabe von Vermögen ging.“ Das OVG Berlin-Brandenburg hatte mit Beschluss vom 28. Oktober 2011, Az. 10 S 33.11, im einstweiligen Rechtsschutz entschieden, dass die Identitäten der Richter (noch) nicht offen gelegt werden müssen.

Fundstellen: Bericht in der Zeitung Potsdamer Neueste Nachrichten vom 16.12.2011, Blogeintrag vom 04.11.2011, Allgemeine Informationen zum Strafrechtsrehabilitierungsgesetz

Laut dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG) vom 28.10.2011, Az. OVG 10 S 33.11, besteht zumindest im einstweiligen Rechtsschutz kein Anspruch auf Auskunft über die Identität von Richtern und Staatsanwälten, die früher mit der Staatssicherheit der DDR zusammengearbeitet haben. Der Chefreporter einer überregionale Zeitung hatte Auskunft über 13 Richter und einen Staatsanwalt beim Justizministerium von Brandenburg verlangt, um Hinweisen über deren Verstrickung mit dem Geheimdienst der DDR nachzugehen. Die Zeitung habe keinen Anspruch auf Offenlegung der Identität der betroffenen Richter und Staatsanwälte, entschied nun das OVG. Es bestehe nur ein Anspruch auf Mitteilung von dem gegenwärtigen Einsatzort der Richter und des Staatsanwalts, soweit dabei deren Anonymität gewahrt bleibe. Der Anspruch läuft daher auch insoweit weitgehend leer.  In Brandenburg gibt es nach Angaben des Ministeriums 152 vorbelastete Justizmitarbeiter, neben 12 Mitarbeitern bei der Staatsanwaltschaft (darunter einem Staatsanwalt) und 76 Bediensteten bei weiteren Behörden befinden sich 64 Mitarbeiter bei Gerichten (darunter 13 Richter). Bei denen es sich um ehemalige haupt- oder nebenberuflichen Mitarbeitern des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit handelt. Zu betroffenen Rechtsanwälten liegen laut Ministerium keine Daten vor. Der Beschluss des OVG Berlin-Brandenburgs erging im einstweiligen Rechtsschutz, dabei wird der Anspruch nicht abschließend geprüft, es erfolgt vielmehr eine Güterabwägung, wobei auch die Frage der Vorwegnahme der Hauptsache eine Rolle spielt. Daher ist keine Vorentscheidung für das Hauptsacheverfahren gefallen, dennoch gibt der Beschluss Anlass auf die Studie von Jörg Siegmund von der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 11. Februar 2011 zur Fragestellung hinsichtlich „Brandenburgs Umgang mit ehemals politisch Verfolgten und Benachteiligten im Vergleich mit den anderen neuen Ländern“ hinzuweisen. Die Studie kommt in ihrem Fazit unter Punkt 3 zu dem folgenden Schluss:  „Die quantitative Auswertung zum Stand der Wiedergutmachung hat ergeben, dass die Anerkennungs- und Bewilligungsquoten in Brandenburg bei der verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierung, der sogenannten Opferrente und der Versorgung der Gesundheitsschäden teilweise deutlich unter den entsprechenden Quoten der anderen neuen Länder liegen. Die Gründe für diese aus Sicht der Betroffenen sehr unbefriedigende Situation sollten zwischen der zuständigen Verwaltung, den Verfolgtenverbänden und der Aufarbeitungsbeauftragten intensiv erörtert werden, um mehr Transparenz und gegebenenfalls eine Verbesserung für die Betroffenen zu erreichen.“ Allgemeine Informationen zum Rehabilitierungsverfahren finden Sie hier.

Fundstellen: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2011, Az. OVG 10 S 33.11, Pressemittelung vom 03.11.2011; Antwort der Landesregierung Brandenburg auf die Kleine Anfrage 1201 vom 13.04.2011; Mitteilung des Justizministeriums Brandenburg vom 04.05.2011; Studie „Brandenburgs Umgang mit ehemals politisch Verfolgten und Benachteiligten im Vergleich mit den anderen neuen Ländern“ von Jörg Siegmund, Ludwig-Maximilians-Universität München, 11. Februar 2011  

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