Um diese Webseite optimal gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir sogenannte Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu

Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss vom 05.12.2023, Az. 2 BvR 1749/20, festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten und des Landgerichts Berlin, mit denen die Wohnungsdurchsuchung angeordnet wurden, um eine Straftat des sogenannten Adbusting aufzuklären, gegen das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) verstoßen haben. Bei einer sogenannte Adbusting-Aktion werden Werbeplakate im öffentlichen Raum in einer Weise verfremdet beziehungsweise umgestaltet, dass deren ursprünglicher Sinn abgeändert oder lächerlich gemacht wird. Für einen außenstehenden Betrachter sollen die Plakate erst auf den zweiten Blick als sinnverändert wahrgenommen werden.

In dem vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fall war die betroffene Person im Mai 2019 auf frischer Tat ertappt worden, wie sie ein Werbeplakat der Bundeswehr an einer Bushaltestelle gegen ein verändertes Plakat austauschen wollte, das statt der Werbung Kritik an der Bundeswehr und einem Rüstungsunternehmen zum Ausdruck brachte.

Im Juni 2019 seien dann ähnlich veränderte Plakate aufgetaucht, weshalb die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss beantragte, den das Amtsgericht Tiergarten im September 2019 erließ. Die Wohnung wurde daraufhin im September 2019 durchsucht. Das gegen die betroffene Person geführte Ermittlungsverfahren wurde im Dezember 2019 wegen Geringfügigkeit eingestellt. Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss wies das Landgericht Berlin im August 2020 als unbegründet ab, da es die Wohnungsdurchsuchung für rechtmäßig hielt. Die Durchsuchung sei nicht unzulässiger Weise im Hinblick auf andere Fälle des sogenannten Adbustings erfolgt, sondern zur Untermauerung des Tatverdachts in dem konkret gegen die Betroffene geführten Strafverfahren.

Das Bundesverfassungsgericht führt in dem Beschluss vom 05.12.2023 aus, dass Adbusting je nach Begehungsweise  strafbar sein kann. Dies gilt etwa dann, wenn das jeweils abgehängte Plakat nicht (zusammengerollt) im Schaukasten verbleibt, sondern mitgenommen wird, dann könnte dies einen Diebstahl darstellen. Wird ein derart entwendetes Originalplakat selbst verfälscht, so kommt eine Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung in Betracht. Ein besonders schwerer Fall des Diebstahls ist wegen der Geringwertigkeit des Plakats in aller Regel auszuschließen, da der der Mietwert des Schaukastens gerade nicht maßgeblich ist.

Das Bundesverfassungsgericht stellt daher in dem Beschluss vom 05.12.2023 fest, dass der Durchsuchungsbeschluss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht genügt. Die Anordnung der Durchsuchung war unangemessen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck stand. Die angegriffenen Beschlüsse setzten sich nicht hinreichend damit auseinander, dass eine Strafe für den konkreten Strafvorwurf voraussichtlich niedrig ausgefallen wäre. Es war zudem äußerst unwahrscheinlich, dass die Durchsuchung tatsächlich zum Auffinden von Beweismitteln geführt hätte, die den Verdacht hinsichtlich der konkret vorgeworfene Tat hätten erhärten können. Die zu erwartenden Beweismittel hätten lediglich Hinweis darauf liefern können, dass die Beschwerdeführerin wohl für die Adbusting-Szene aktiv war.

Das Bundesverfassungsgericht führt zudem in dem Beschluss vom 05.12.2023 aus, dass auch die Meinungs- oder Kunstfreiheit der Strafbarkeit des „Adbustings“ entgegen stehen können. Das Adbusting kann eine Art der künstlerischen Betätigung darstellen, es sei aber stets eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und den Eigentumsinteressen des Geschädigten vorzunehmen, um herauszufinden welchem Grundrecht im Einzelfall der Vorrang einzuräumen sei. In dem vorliegenden Fall nahm das Bundesverfassungsgericht nur den Verstoß gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung an, lehnte aber eine Verletzung der Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit ab.

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung  Nr. 121/2023 vom 21.12.2023, Beschluss vom 05.12.2023, Az. 2 BvR 1749/20; Landgericht Berlin, Beschluss vom 24.08.2020, Az. 528 Qs 44/20; Amtsgericht Tiergarten, Beschluss vom 17.07.2019, Az. (348 Gs) 231 Js 1812/19 (1887/19) und Beschluss vom 06.09.2019, Az. 348 Gs 2464/19

Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz vermutet (widerleglich), dass die Anordnung der Unterbringung in ein Spezialheim der DDR – also beispielsweise in ein Spezialkinderheim oder einem Jugendwerkhof – der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich jetzt mit der Frage zu beschäfitgen, wann diese Vermutung als widerlegt anzusehen ist und ob hierfür pauschale Erziehungsschwierigkeiten ausreichen können.

Den ursprünglichen Rehabilitierungsantrag hatte das Oberlandesgericht Dresden abgelehnt, weil in den vorliegenden Unterlagen eine Arbeitsbummelei sowie das Fernbleiben des Betroffenen vom Jugendwohnheim vermerkt worden seien. In einem späteren Strafurteil wurde von Schulbummelei und Straftaten gesprochen. Das Oberlandesgericht meinte aus dem Umtstand, dass der Betroffene zwischen der Unterbringung im Spezialkinderheim und im Jugendwerkhof zeitweise in einem Normalkinderheim beziehungsweise in einem Jugendwohnheim untergebracht worden war, den Schluss ziehen zu können, dass die damalige Jugendhilfe bestrebt war, erkennbaren Verbesserungen der Erziehungssituation Rechnung zu tragen. Die Rehabilitierung war demnach abgelehnt worden, weil die gesetzliche Vermutung der Rechtsstaatswidrigkeit als widerlegt angesehen wurde. Die Einweisungsentscheidungen seien angesichts der Hinweise auf Erziehungsschwierigkeiten und eine ungenügende Lernbereitschaft als aus rein fürsorgerischen Gründen erfolgt anzusehen gewesen.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 31.07.2023 diese Argumentation als willkürlich abgelehnt. Eine Rehabilitierung scheide nicht bereits dann aus, wenn  Anhaltspunkte auf die typischen Regeleinweisungsgründe vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht führt in dem Beschluss aus, dass es mittlerweile anerkannt ist, dass in den Spezailheimen ein System herrschte, das sich aus strengster Disziplinierung, entwürdigenden Strafen, genauester Kontrolle des Tagesablaufs, Abschottung von der Außenwelt und ideologischer Indoktrination zusammensetzte, und in dem das Kind oder der Jugendliche zur bedingungslosen Unterwerfung unter die staatliche Autorität gezwungen werden sollte.

Nach den Forschungsergebnissen zur Heimerziehung in der DDR stellten demnach pauschal umschriebene Erziehungsschwierigkeiten, ungenügende Lernbereitschaft, Schul- oder Arbeitsbummelei typische Begründungen für die Heimerziehung in einem Spezialkindereheim dar. Vor diesem Hintergrund können nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sachfremde Zwecke der Unterbringung nicht bereits durch pauschale Verweise auf diese typischen Regeleinweisungsgründe ausgeschlossen werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat daher die ablehnende Rehabilitierungsentscheidung wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot (Art. 3 GG) aufgehoben, da die Ablehnung der gesetzllichen Regelvermutung im vorliegenden Fall in nicht mehr nachvollziehbarer und die Rehabilitierung damit in willkürlicher Weise abgelehnt worden sei.

Fundstelle: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.07.2023, Az. 2 BvR 1014/21

Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss vom 09.12.2021, Az. 2 BvR 1985/16, erneut die Pflicht zur Amtsermittlung des Sachverhaltes im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren betont und hob ablehnende Rehabilitierungsbeschlüsse des Landgerichts Schwerin und des Oberlandesgerichts Rostock daher auf. Die Sache wird nunmehr erneut vor dem Landgericht Schwerin verhandelt.

Der Betroffene war in ein Heim eingewiesen worden, nachdem er zusammen mit der Mutter beim Versuch einer sogenannten Republikflicht über die Tschechoslowakei im Alter von 13 Jahren inhaftiert worden war. Die Mutter wurde strafrechtlich verurteilt und konnte nach einer mehrmonatigen Haftstrafe nach Westdeutschland ausreisen. Ihren Sohn konnte sie erst 6 Monate später aus dem Heim abholen.

Der Rehabilitierungsantrag des betroffenen Heimkindes wurde von den Rehabilitierungsgerichten dennoch abgelehnt. Dies war nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts rechtswidrig, die Gerichte hätten den Sachverhalt umfassend aufklären müssen. Im konkreten Fall hätten sie den Hinweisen auf die Aufnahmebereitschaft des älteren Halbbruders, der zu diesem Zeitpunkt bereits in der Bundesrepublik lebte, sowie der Großeltern stiefväterlicherseits nachgehen müssen.

Zudem hätte aufgeklärt werden müssen, weshalb der Betroffene nach der Ausreise der Mutter noch weitere sechs Monate im Heim verbringen musste. Das Rehabilitierungsgericht durfte hier nicht einfach von organisatorisch-bürokratischen Hemmnissen ausgehen, ohne dies weiter aufgeklärt zu haben. Zumal sich für das Vorliegen der angeblich organisatorisch-bürokratischer Hemmnisse in den Akten nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine dokumentierten Verfahrensschritte von einer bestimmten Dauer finden.

Vom Oberlandesgericht angenommene Unterhaltsrückstände und diesbezügliche Unstimmigkeiten dürften jedenfalls unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kein anerkennenswertes Hemmnis für die verzögerte Heimentlassung darstellen. Das Bundesverfassungsgericht nahm insoweit auch einen Verstoß gegen das Willkürverbot durch die Begründung de abgelehnte Rehabilitierung an.

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.12.2021, Az. 2 BvR 1985/16, Pressemitteilung Nr. 110/2021 „Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde betreffend die Rehabilitierung des Beschwerdeführers wegen einer Heimunterbringung in der ehemaligen DDR“ vom 29.12.2021

Das Amtsgericht Bernau hält die Strafverfolgung von Cannabisdelikten für verfassungswidrig und hat diese Frage daher mit Beschluss vom 18.09.2019 dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Nach Auffassung des Amtsgerichts Bernau sind alle  Regelungen  des  Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) verfassungswidrig,  soweit  sie Cannabisprodukte  in  der  Anlage I  zu  §  1  Abs.  1  BtMG  mit  der  Folge  aufführen,  dass  der unerlaubte  Verkehr  mit  diesen  Stoffen  den  Strafvorschriften  des  Betäubungsmittelgesetzes unterliegt.

Auch die Strafverfolgung des Erwerbs von Cannabis hält das Amtsgericht Bernau für verfassungswidrig. Der Beschluss des Amtsgerichts Bernau wurde umfangreich begründet und nunmehr veröffentlicht. Die Bestrafung von Cannabisdelikten verstößt nach dem Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Bernau u. a. gegen das Freiheitsrecht  der  Bürger, den Gleichheitsgrundsatz, das Gesetzlichkeitsprinzip, die allgemeine Handlungsfreiheit und das Recht auf Rausch.

Das Amtsgericht Bernau hält eine verfassungskonforme Auslegung der Normen des Betäubungsmittelgesetzes etwa durch die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, von einer Bestrafung abzusehen, für nicht möglich. Dies ergäbe sich vor allem aus der Strafrechtspraxis, die hiervon wenig Gebrauch mache. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus (Stand 22.04.2020).

Fundstellen:  Amtsgericht Bernau, Beschluss vom 18.09.2019, Az. 2 Cs 226 Js 7322/19 (346/19); Pressemitteilung vom 20.04.2020

 

Nachtrag (03.11.2023): Bundesverfassungsgericht weist Normenkontrollverfahren zur Verfassungswidrigkeit der Strafverfolgung von Cannabisdelikten zurück

Zwischenzeitlich hatten auch das Amtsgericht Münster und das Amtsgericht Pasewalk Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse erlassen, weil sie die Strafnormen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) für verfassungswidrig erachteten, soweit diese den Umgang mit Cannabisprodukten betreffen. Die Amtsgerichte führten an, dass sich das strafbewehrte Cannabisverbot nicht mit dem Grundgesetz in Einklang bringen lasse. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Vorlagen allerdings mit dem Beschluss vom 14.06.2023, Az. 2 BvL 3/20, als unzulässig zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht konnte keine Verfassungswidrigkeit erkennen.

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14.06.2023, Az. 2 BvL 3/20 (ebenso Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 05.07.2023, Az. 2 BvL 9/23)

Mit dem Blogeintrag vom 29.01.2012 berichtete ich über ein Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 08.12.2011 zu der Frage ob das Zeigen eines Banners mit der Aufschrift „A. C. A. B.“ bei einem Fußballspiel strafbar ist. Die Abkürzung steht für den englischen Satz „all cops are bastards“. Ein Polizeibeamter fühlte sich durch das Banner beleidigt und stellte einen Strafantrag wegen Beleidigung. Das Landgericht Karlsruhe hat den Beschuldigten freigesprochen. Ursprünglich hatte das Amtsgericht Karlsruhe mittels eines Strafbefehls eine Geldstrafe gegen den Beschuldigten erlassen, diesen dann aber ebenfalls freigesprochen, nachdem der Beschuldigte Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hatte.

Allerdings hat das Oberlandesgericht Karlsruhe -wie berichtet- auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil wieder aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Karlsruhe zurückverwiesen. Das Landgericht Karlsruhe verurteilte den Beschuldigten dieses Mal und verhängte eine Verwarnung mit Strafvorbehalt zu einer Geldstrafe in Höhe von 600,00 €. Das entsprach also in etwa dem ursprünglichen Strafbefehl, nur dass die Geldstrafe dieses Mal „zur Bewährung“ ausgesetzt wurde.

Der Beschuldigte legte gegen das Urteil Revision und gegen die Verwerfung der Revision durch das Oberlandesgericht Karlsruhe eine Anhörungsrüge ein. Auch die Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht Karlsruhe zurück. Das Oberlandesgericht begründete seine Entscheidungen damit, dass es sich bei dem Akronym „A. C. A. B.“ um eine Schmähkritik handele, die nicht von der Meinungsfreiheit umfasst sei. Hiergegen hat der Beschuldigte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun mit Beschluss vom 17.05.2016, Az. 1 BvR 2150/14, entschieden, dass die strafrechtliche Verurteilung in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung gem. Art. 5 GG eingreift. Die Parole „all cops are bastards“ bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck. Zwar ist auch eine strafbewehrte Kollektivbeleidigung durch die Kundgabe des Akronyms „A. C. A. B.“ grundsätzlich denkbar, dafür bedarf es aber einer gewissen, konkreten Individualisierung der Beleidigung. Daran fehlt es hier aber gerade, das Bundesverfassungsgericht führt insoweit aus (Rn. 18): „Aus den Feststellungen des Gerichts ist insofern nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtete.“

„Eine strafbegründende Deutung der Aktion des Beschwerdeführers, wonach die Buchstabenkombination ohne weiteren Zusammenhang mit anderen Äußerungen im Rahmen des durch Einsatzkräfte der Polizei gesicherten Sportstadions als an diese adressiert hätte erscheinen müssen, war vorliegend den Feststellungen der Fachgerichte nicht zu entnehmen. Vielmehr war unmittelbar vor der Verwendung des Akronyms „ACAB“ Kritik an den Beweis- und Festnahmeeinheiten „(BFE)“ sowie an den Polizeieinsätzen im Rahmen des Projekts „Stuttgart 21“ geäußert und damit eine in der Öffentlichkeit viel diskutierte Frage aufgenommen worden. „

Eine unzulässige Schmähung der Polizeibeamten lag hier nicht vor, da es an der personalisierten Zuordnung auf eine bestimmte Gruppe fehlte und auch nicht die Diffamierung einer Person im Vordergrund stand. Denn es ging um eine allgemeine Kritik an der Polizeiarbeit. Das Bundesverfassungsgericht hat die Sache nun erneut an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückverwiesen. Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wird nun auch das Oberlandesgericht Karlsruhe nicht umhinkommen, den Beschuldigten frei zu sprechen.

In dem vorliegenden Fall lag es eigentlich auf der Hand, dass das Hochhalten des Plakats mit der Buchstabenkombination „A. C. A. B.“ im Zusammenhang mit den vorher hochgehaltenen Transparenten gesehen werden musste und eine Verurteilung wegen Beleidigung daher ausscheiden musste (vgl. Blogeintrag vom 29.01.2012). Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch noch einen anderen Fall zu dieser Thematik entschieden. Dabei ging es um einen Stadionbesucher in Bayern, der eine Hose mit der Aufschrift „ACAB“ trug. Auch hier hatten die bayrischen Gerichte den Träger der Hose wegen Beleidigung verurteilt. Auch diese Verurteilung stellt einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit dar. Das Bundesverfassungsgericht führt in dem Beschluss vom 17.05.2016, Az. 1 BvR 257/14, aus, dass das bloße Tragen einer Hose mit der Aufschrift „ACAB“ bei einem Fußballspiel, nicht ausreicht, um einen Bezug auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe anzunehmen. Es reicht nicht aus, dass die im Stadion eingesetzten Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten sind. Vielmehr bedarf es einer personalisierten Zuordnung der Beleidigung, um eine strafrechtliche Verurteilung zu rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht formuliert in dieser Entscheidung (Rn. 17): „Der bloße Aufenthalt im Stadion im Bewusstsein, dass die Polizei präsent ist, genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine erkennbare Konkretisierung der Äußerung auf bestimmte Personen nicht. Es ist hieraus nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtet.“

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 17.05.2016, Az. 1 BvR 2150/14 und 1 BvR 257/14; Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 17. 06.2014, Az. 1(8) Ss 678/13-AK 15/14, Beschluss vom 20. 05.2014, Az. 1(8) Ss 678/13-AK 15/14; Urteil vom 19.07.2012, Az. 1 (8) Ss 64/12-AK 40/12; Landgericht Karlsruhe, Urteil vom vom 25.09.2013, Az. 9 Ns 410 Js 5815/11;  Urteil vom 08.12.2011, Az.: 11 Ns 410 Js 5815/11; Amtsgericht Karlsruhe, Urteil vom 12.05.2011, Az. n. n.; Oberlandesgericht München, Beschluss vom 18.12.2013, Az. 4 OLG 13 Ss 571/13

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in dem von mir für den Antragsteller geführten Verfassungsbeschwerdeverfahren mit Beschluss vom 02.05.2016 entschieden, dass ein Gericht gegen die durch die Verfassung verbürgte Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Absatz 1 i. V. m. Art. 20 Absatz 3 GG) verstößt, wenn es überspannte Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines Antrages auf Prozesskostenhilfe anlegt. Die Erhebung von Gebühren für eine Anhörungsrüge im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren stellt zudem einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) dar.

Der Antragsteller hatte seine Rehabilitierung wegen DDR-Unrechts bezüglich seiner Einweisung in das Spezialkinderheim „Blücherhof“ nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) beantragt. Die Heimeinweisung war damals lediglich allgemein mit groben Disziplinarverstößen, einer  unzureichenden Lernbereitschaft, einem unbeherrschten Auftreten und einer Außenseiterstellung im Klassenkollektiv begründet worden. Wobei als Ursachen für das angebliche Verhalten des Kindes ein nicht immer genügend abgestimmtes einheitliches Erziehungsverhalten und eine fehlende pädagogischer Konsequenz der Eltern angegeben wurde.

Der Antrag auf Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit der Heimeinweisung wurde vom Landgericht Neubrandenburg abgelehnt. Das Oberlandesgericht Rostock lehnte die dagegen eingelegte Beschwerde ab. Zudem wurde der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Für die gegen die Beschwerdeentscheidung erhobene Anhörungsrüge erhob das Oberlandesgericht eine Gebühr in Höhe von 60,00 €.

Das Bundesverfassungsgericht stellt in der Entscheidung vom 02.05.2016 nunmehr fest, dass die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe durch das Oberlandesgericht Rostock auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruht. Das Oberlandesgericht hatte zur Begründung der Versagung der Prozesskostenhilfe darauf abgestellt, dass die Vorinstanz den Rehabilitierungsantrag mit zutreffender Begründung abgelehnt habe. In der Beschwerdeinstanz seien keine grundsätzlich neuen Tatsachen vorgebracht worden. Der Beschwerdeführer habe lediglich eine abweichende rechtliche Bewertung vorgetragen, weshalb die Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht abzulehnen war.

Nach der zutreffenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, hat das Oberlandesgericht Rostock damit die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Beschwerde überspannt. Denn bei objektiver Betrachtung lagen hier gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass die Heimeinweisung in einem groben Missverhältnis zu ihrem Anlass stand und dass der Heimeinweisung ein sachfremder Zweck zugrunde lag. Daher war hier eine umfangreiche Würdigung der Sach- und Rechtslage veranlasst. Die Annahme fehlender Erfolgsaussichten im Rahmen der Prozesskostenhilfegewährung war demgemäß als grundrechtswidrig anzusehen.

Zudem verstößt die Erhebung einer Gebühr für die Anhörungsrüge im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren gegen das Willkürverbot. Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz ordnet ganz eindeutig die Kostenfreiheit des Verfahrens an (vgl. § 14 Abs. 1 StrRehaG). Das Oberlandesgericht hatte dennoch argumentiert, dass das Verfahren über die Anhörungsrüge ein selbstständiges Verfahren sei, das nicht mehr dem strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren zuzurechnen sei.

Das Bundesverfassungsgericht führt zu dieser Gesetzesauslegung des Oberlandesgerichts Rostock zutreffend aus: „Die gegenläufige Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar. Der vom Oberlandesgericht für das Anhörungsrügeverfahren erhobenen Gerichtsgebühr fehlt es bereits an einer rechtlichen Grundlage.“

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.05.2016, Az. 2 BvR 1267/15; Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 22.06.2015, Az. 22 Ws_Reha 22/15; Beschluss vom 29.05.2015, Az. 22 Ws_Reha 22/15; Landgericht Neubrandenburg, Beschluss vom 11.11.2014, Az. 63 Rh 48/14

Die 55. Kammer des Sozialgerichts Berlin hält bekanntermaßen die aktuelle Höhe der Regelleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) für zu niedrig und damit für verfassungswidrig, das entschied das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 25.04.2012, Az. S 55 AS 9238/12. Folgerichtig legte das Sozialgericht Berlin die Frage der Verfassungswidrigkeit der derzeitigen Ausgestaltung von Hartz IV dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor (vgl. Blogartikel vom 26.04.2013: „Sozialgericht Berlin: Auch neue Hartz-IV-Regelsatzberechnung verfassungswidrig“). Das Bundessozialgericht entschied dagegen mit Urteil vom 28.03.2013, Az. B 4 AS 12/12 R, dass die derzeitige Höhe der Hartz-IV-Leistungen nicht zu beanstanden sei. Entsprechende Beschwerdeverfahren sind immer noch beim Bundesverfassungsgericht anhängig (Az. 1 BvR 1691/13, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12). Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts ist noch nicht ergangen. Der paritätische Wohlfahrtsverband hat im Rahmen dieser Verfahrens zwei Gutachten durch Dr. Rudolf Martens und Dr. Joachim Rock vorgelegt, die beide zu dem Schluss kommen, dass auch die derzeitige Berechnung der Regelleistungen für hilfsbedürftige Arbeitssuchende verfassungswidrig ist. Nach den Gutachten wurden in dem Bedarfsbemessungsverfahren  Eingriffe in das sich nach dem Statistikmodell ergebende Verfahren vorgenommen, ohne dass das durch sachlogische Bezüge konstruiert werden könnte. Das Berechnungsverfahren der Regelsätze sei daher intransparent und nicht sachgerecht. Zumal in der ausgewählten Referenzgruppe u. a. Haushalte von Empfängern von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz enthalten waren. Die damalige Höhe der Leistungen für Asylbewerber ist aber inzwischen selbst vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. Das führe zu Verzerrungen bei der Berechnung und stelle einen verbotenen Zirkelschluss dar. Es fehle insbesondere auch  an einer verfassungskonformen Berechnung im Hinblick auf den spezifischen Bedarf von Kindern. Zudem sei die Berechnung der Regelsatzhöhe intransparent und trage der verdeckten Armut nicht ausreichend Rechnung. Der Mobilitätsbedarf von Ein-Personen-Haushalten und Haushalten mit Kindern sei in der Berechnung ebenfalls unzureichend berücksichtigt worden. Letztlich werde der Ermessensspielraum des Gesetzgebers auch deshalb eingeschränkt, weil die Variation des Anteils der Personen, die länger als zwei Jahre im SGB II-Bezug sind, bundesweit betrachtet gering sei. Diese Personen seien aber stärker von einem zu niedrigen Regelsatz betroffen, falls dieser unterhalb der Kosten für den benötigten Konsum des Haushaltes liege.

Fundstellen: Bundessozialgericht, Urteil vom 28.03.2013, Az. B 4 AS 12/12 R, Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 25.04.2012, Az. S 55 AS 9238/12, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Gutachten  vom 28.09.2013, Gutachten vom 29.08.2013

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat Beschluss vom 17.09.2013 entscheiden, dass die Beobachtung des ehemaligen Bundestagsabgeordneten und jetzigen thüringischen Landtagsabgeordneten, Bodo Ramelow, von der Partei „Die Linke“ rechtswidrig war. Seit 1986 sammelt der Verfassungsschutz Informationen über den Abgeordneten allein aufgrund von seiner Mitgliedschaft in der Partei „Die Linke“. Hiergegen hat Herr Ramelow Verfassungsbeschwerde erhoben. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass die Beobachtung gegen das verfassungsrechtlich geschützte freie Mandat verstößt. Der Schutz des freien Mandats umfasst nach dem Beschluss eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zwischen den Abgeordneten und den Wählern. Darüber hinaus ist zudem die Freiheit des Abgeordneten von exekutiver Beobachtung, Beaufsichtigung und Kontrolle geschützt. Eine langjährige Beobachtung durch den Verfassungsschutz könne nur beispielsweise dann gerechtfertigt sein, wenn der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft. Wenn aber -wie im vorliegenden Fall- festgestellt wurde, dass der Abgeordnete individuell nicht verdächtig ist, verfassungsfeindliche  Bestrebungen zu verfolgen, scheidet eine derartige Beobachtung durch den Verfassungsschutz aus. Das Bundesverfassungsgericht hob damit, das anders lautende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.07.2010, Az. 6 C 22.09, auf.

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17.09.2013, Az. 2 BvR 2436/10, 2 BvE 6/08, Pressemitteilung Nr. 60/2013; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.07.2010, Az. 6 C 22.09; Presseerklärung „Tränen in den Augen“ des Abgeordneten Bodo Ramelow vom 09.10.2013

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Urteilen vom 19.03.2013, Az. 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 entschieden, dass die gesetzlichen Regelungen über die Verständigung (Deal) im Strafverfahren einer verfassungsrechtlichen Prüfung grundsätzlich standhalten. Das Gericht betont, dass das Strafrecht auf dem Schuldgrundsatz, der Selbstbelastungsfreiheit und der Unschuldsvermutung beruht, welche sich aus der Menschenwürde bzw. dem Rechtsstaatsprinzip ableiten und somit Verfassungsrang besitzen und dass der Deal im Strafverfahren das Risiko birgt, dass dadurch diese Prinzipien verletzt werden könnten. Dieses Risiko lasse sich aber bei Einhaltung der Amtsaufklärungspflicht sowie der Transparenz-, Dokumentations- und Belehrungspflichten, die die Strafprozessordnung vorsieht, durch das entscheidende Gericht auf ein verfassungsgemäßes Maß reduzieren. Nur wenn das vom Bundesverfassungsgericht festgestellte, erhebliche Vollzugsdefizit im Hinblick auf die gesetzlichen Anforderungen zur Verständigung weiterhin anhalte, könne ein verfassungswidriger Zustand eintreten.

Fundstelle: Bundesverfassungsgericht, Urteile vom 19.03.2013, 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, Pressemitteilung Nr. 17/2013

Die von den Berliner Universitäten für die Immatrikulation und die Rückmeldung erhobene Gebühr in Höhe von 100,00 DM pro Semester war in den Jahren 1996 – 2004 verfassungswidrig, das hat nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 06.11.2012, Az. 2 BvL 51/06, 2 BvL 52/06, entschieden. Der entsprechende Paragraph des damals geltenden Berliner Hochschulgesetzes verstößt nach der Entscheidung gegen das Grundgesetz und wurde daher vom Gericht für nichtig erklärt. Die Regelung war als sachlich nicht gerechtfertigt zu beanstanden, da sie in einem groben Missverhältnis zu den verfolgten Gebührenzwecken stand. Das Gericht bemängelte u. a. die Normenklarheit der Bestimmung, zudem sah es einen Verstoß gegen die Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung und der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen. Die betroffenen Studenten können die gezahlte Gebühr zurückfordern, falls die Universitäten die geleisteten Zahlungen nicht von sich aus erstatten.

Nachtrag (28.02.2013): Der Referent_Innenrat der Humboldt-Universität hat auch mittlerweile einen Musterbrief zur Geltendmachung der Gebührenrückzahlung zur Verfügung gestellt, den Link zu dem Brief finden Sie unten bei den Fundstellen.

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.11.2012, Az. 2 BvL 51/06, 2 BvL 52/06, Pressemitteilung Nr. 80/2012, Musterbrief des Referent_Innenrat der Humboldt-Universität

Zum Seitenanfang