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Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat in dem Beschluss vom 23.08.2023, Az. 49/22, entscheiden, dass die Rehabilitierungsgerichte die Haftähnlichkeit von Lebens- oder Arbeitsbedingungen anhand der konkreten Bedingungen des Einzelfalls zu prüfen haben, sie können sich nicht darauf zurückziehen, dass nur (klassische) Freiheitsentziehungen wie z. B. Haftstrafen vom strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erfasst werden können. Denn das Leben unter haftähnlichen Bedingungen oder Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen sind dem Gesetze nach der Freiheitsentziehung gleichgestellt.

Der Betroffene hatte nach einer Verurteilung durch das Stadtgericht von Berlin u. a. wegen des Vorwurfs des staatsgefährdenden Gewaltaktes und der Vorbereitung einer Republikflucht eine zweijährige Haftstrafe verbüßen müssen. Hierfür war er auch rehabilitiert worden. Er erhielt aber zudem ein sogenanntes Berlinverbot im Anschluss an die verbüßte Haft. Er war für mehrere Jahre verpflichtet, seinen Aufenthalt in Gröditz im Kreis Riesa zu nehmen und im dortigen Stahlwerk zu arbeiten. Der Betroffene sei aus der Haftanstalt durch Mitarbeiter der Stasi zwangsweise nach Gröditz verbracht worden. Ihm sei Gröditz als Aufenthaltsort und ein bestimmter, ungeeigneter Raum als Wohnung zugewiesen worden. Der Betroffene habe zwangsweise Arbeit im Stahlwerk leisten müssen, welche unter ständiger Bewachung erfolgt sei. Für den Fall des Verlassens von Wohnort oder Arbeitsplatz sei dem Betroffenen die erneute Inhaftierung angedroht worden. Während dieser Zeit sei es zu Ansprachen und Schikanen durch Stasi-Mitarbeiter gekommen. Der Betroffene sei ständig durch die Volkspolizei kontrolliert und durch die Stasi überwacht worden.

Die Rehabilitierungsgerichte hatten den Antrag auf Rehabilitierung aber unter Verweis darauf als unzulässig zurückgewiesen, dass die erzwungene Arbeit an einem bestimmten Ort und das sogenannte Berlinverbot nicht vom strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erfasst würden. Die geschilderten Lebens- und Arbeitsbedingungen hätten jedenfalls nicht das Ausmaß einer Freiheitsentziehung erreicht. Es habe kein Leben und Arbeiten unter haftähnlichen Bedingungen vorgelegen. Die hiergegen erhobene (Landes-) Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der Verfassungsgerichthof des Landes Berlin erkannte einen Verstoß gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 15 Abs. 4 der Verfassung von Berlin. Der substantielle Anspruch des Betroffenen auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle wurde dadurch verletzt, dass die Rehabilitierungsgerichte die Prüfung des Sachverhaltes auf die Zuweisung des Arbeitsplatzes, eines Wohn- und Aufenthaltsortes und des Berlinverbotes reduziert haben, ohne die vom Betroffenen angeführte strenge Überwachung und sonstige Sonderbehandlung zu berücksichtigen.

Haftähnliche Lebens- und Arbeitsbedingungen im Sinne des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes dürfen nicht bloß im technischen Sinne einer Freiheitsentziehung verstanden werden. Der Begriff der Haftähnlichkeit von Lebens- oder Arbeitsbedingungen sei noch nicht gesetzlich und gerichtlich abschließend geklärt worden. Nach der Gesetzesbegründung werde vielmehr ein Spannungsfeld eröffnet, welches eine streng überwachte Einschränkung der Bewegungsfreiheit, strenge polizeiliche Aufsicht, Absonderung von Dritten und entwürdigende Behandlung einschließe. Es müssten daher alle Umstände des Einzelfalls herangezogen und geprüft werden. Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hob deswegen die ablehnende Rehabilitierungsentscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung an das Kammergericht zurück.

Fundstellen: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 23.08.2023, Az. 49/22; Kammergericht, Beschluss vom 19.04.2022, Az. 7 Ws 5/20 REHA; Landgericht Berlin, Beschluss vom 08.01.2020, Az. 551 Rh 62/19

Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz vermutet (widerleglich), dass die Anordnung der Unterbringung in ein Spezialheim der DDR – also beispielsweise in ein Spezialkinderheim oder einem Jugendwerkhof – der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich jetzt mit der Frage zu beschäfitgen, wann diese Vermutung als widerlegt anzusehen ist und ob hierfür pauschale Erziehungsschwierigkeiten ausreichen können.

Den ursprünglichen Rehabilitierungsantrag hatte das Oberlandesgericht Dresden abgelehnt, weil in den vorliegenden Unterlagen eine Arbeitsbummelei sowie das Fernbleiben des Betroffenen vom Jugendwohnheim vermerkt worden seien. In einem späteren Strafurteil wurde von Schulbummelei und Straftaten gesprochen. Das Oberlandesgericht meinte aus dem Umtstand, dass der Betroffene zwischen der Unterbringung im Spezialkinderheim und im Jugendwerkhof zeitweise in einem Normalkinderheim beziehungsweise in einem Jugendwohnheim untergebracht worden war, den Schluss ziehen zu können, dass die damalige Jugendhilfe bestrebt war, erkennbaren Verbesserungen der Erziehungssituation Rechnung zu tragen. Die Rehabilitierung war demnach abgelehnt worden, weil die gesetzliche Vermutung der Rechtsstaatswidrigkeit als widerlegt angesehen wurde. Die Einweisungsentscheidungen seien angesichts der Hinweise auf Erziehungsschwierigkeiten und eine ungenügende Lernbereitschaft als aus rein fürsorgerischen Gründen erfolgt anzusehen gewesen.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 31.07.2023 diese Argumentation als willkürlich abgelehnt. Eine Rehabilitierung scheide nicht bereits dann aus, wenn  Anhaltspunkte auf die typischen Regeleinweisungsgründe vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht führt in dem Beschluss aus, dass es mittlerweile anerkannt ist, dass in den Spezailheimen ein System herrschte, das sich aus strengster Disziplinierung, entwürdigenden Strafen, genauester Kontrolle des Tagesablaufs, Abschottung von der Außenwelt und ideologischer Indoktrination zusammensetzte, und in dem das Kind oder der Jugendliche zur bedingungslosen Unterwerfung unter die staatliche Autorität gezwungen werden sollte.

Nach den Forschungsergebnissen zur Heimerziehung in der DDR stellten demnach pauschal umschriebene Erziehungsschwierigkeiten, ungenügende Lernbereitschaft, Schul- oder Arbeitsbummelei typische Begründungen für die Heimerziehung in einem Spezialkindereheim dar. Vor diesem Hintergrund können nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sachfremde Zwecke der Unterbringung nicht bereits durch pauschale Verweise auf diese typischen Regeleinweisungsgründe ausgeschlossen werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat daher die ablehnende Rehabilitierungsentscheidung wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot (Art. 3 GG) aufgehoben, da die Ablehnung der gesetzllichen Regelvermutung im vorliegenden Fall in nicht mehr nachvollziehbarer und die Rehabilitierung damit in willkürlicher Weise abgelehnt worden sei.

Fundstelle: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.07.2023, Az. 2 BvR 1014/21

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19.10.2023 in einem Revisionsverfahren, bei dem ich den Kläger vertreten habe, entschieden, dass auch Zwangsadoptionen in der DDR verwaltungsrechtlich rehabilitiert werden können. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht wird die Adoption zwar nicht aufgehoben, es muss aber -bei Vorliegen der Voraussetzungen des verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes- die Rechtsstaatswidrigkeit der erfolgten Adoption festgestellt werden.

In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall war die Adoption mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar, weil sie sich als Willkürakt im Einzelfall darstellte. Die Adoption war nicht  am Kindeswohl orientiert, sondern diente dazu, den Vater des Klägers zu disziplinieren und eine gemeinsame Ausreise nach Westdeutschland zu verhindern. Unmittelbare Folge der rechtsstaatswidrigen Adoption war eine noch fortdauernde Gesundheitsbeeinträchtigung des Betroffenen. Der Kläger war daher verwaltungsrechtlich zu rehabilitieren.

Fundstelle: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.2023, Az. BVerwG 8 C 6.22; Pressemitteilung vom 19.10.2023, Nr. 74/2023

Die gesetzliche Vermutung der politischen Verfolgung und des sachfremden Einweisungsgrundes für Spezialheime und Jugendwerkhöfe beschäftigt weiterhin die Gerichte. In einem vom Brandenburgischen Oberlandesgericht entschiedenen Fall ging es um die Rehabilitierung eines Heimkindes, welches in einem Spezialkinderheim untergebracht worden war.

Das Landgericht Potsdam konnte die Gründe der Einweisung nicht mehr vollständig aufzuklären, da die Unterlagen aus dem Anordnungsverfahren nicht mehr auffindbar waren. Aus zwei Schulzeugnissen aus der Zeit vor der Einweisung ging zwar hervor, dass die Betroffene Schwierigkeiten habe die schulischen und außerschulischen Aufgaben zu erfüllen und dass sie im Unterricht störe. Sie habe erhebliche Fehlzeiten in der Schule, sie habe im Schuljahr an 80 Tagen gefehlt, wovon 74 Tage unentschuldigt waren. Die schulischen Leistungen wurden dagegen mit Noten zwischen „genügend“ und „sehr gut“ bewertet.

Das Landgericht konnte keine spezifischen Umstände erkennen, die gerade die Unterbringung im Spezialheim gerechtfertigt hätte. Es kämen auch Gründe für die Heimeinweisung in Betracht, die nicht allein in der Person der betroffenen Antragstellerin gelegen haben. Das Landgericht rehabilitierte die Betroffene daher für die Zeit der Unterbringung im Spezialkinderheim.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hatte gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, um zu klären, ob eine massive Verletzung der Schulpflicht als Tatsache anzuerkennen ist, die die gesetzliche Vermutung der politischen Verfolgung oder die Vermutung eines sachfremden Einweisungsmotivs aus § 10 Abs. 3 StrRehaG widerlegt.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht verneinte diese Frage in dem Beschluss vom 07.01.2021, da im vorliegenden Fall nicht positiv festgestellt werden konnte, dass die Heimeinweisung fürsorglich bedingt war. Hierfür hätte das Landgericht nämlich auch feststellen müssen, dass die Unterbringung im Normalkinderheim nicht ausreichend gewesen wäre.

Fundstellen: Landgericht Potsdam, Beschluss vom 22.06.2020, Az. 2 Reha 15/18; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 07.01.2021, Az. 2 Reha 15/20

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat sich in dem Beschluss vom 16.06.2021, Az. 108/20, mit einem Rehabilitierungsverfahren befasst, in dem es um einen Betroffenen ging, der u. a. im Spezialkinderheim „Rankenheim“ in Groß-Köris, im Sonderkinderheim in Burgstädt, im Durchgangsheim in Alt-Stralau, im Jugendwerkhof in Hennickendorf untergebracht worden war und hierfür seine Rehabilitierung beantragt hatte. Für die Zeit im Jugendwerkhof Torgau war der Antragsteller bereits in einem gesonderten Verfahren rehabilitiert worden.

Der Antragsteller hatte seinen Antrag auf Rehabilitierung damit begründet, dass die Einweisungen politisch motiviert waren, er mehrfach versucht habe, im Alter von neun Jahren die innerdeutsche Grenze zu passieren und zu seinem in die Bundesrepublik Deutschland ausgereisten Vater zu ziehen. Er verwies zudem auf die menschenunwürdige Behandlung während seiner Heimunterbringungen, wobei er schwerste körperliche und seelische Misshandlungen erlebt habe.

Das Kammergericht lehnte diesen Antrag ab, da angeblich Fürsorgegründen für die Einweisungen vorgelegen hätten. Die Mutter des Antragstellers habe Alkoholprobleme gehabt, an deren Folgen sie 1974 auch verstorbenen sei. Zudem habe es unentschuldigtes Fehlen des Antragstellers in der Schule gegeben. Die gesetzliche Vermutung rechtsstaatswidriger Einweisungsgründe sei daher widerlegt.

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hob nun die ablehnende Entscheidung des Kammergerichts wegen Verstoßes das Willkürverbot, den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes und wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auf.

Der Verfassungsgerichtshof führt in der Entscheidung aus, dass das Gebot effektiven Rechtsschutzes grundsätzlich zu einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Verfahrensgegenstandes führen muss. Der Antragsteller hatte einen Verstoß gegen sein Recht auf Ausreise dargelegt, welches zu den grundlegenden Menschenrechten gehört. Das Gericht hätten daher die näheren Umstände der Ausreise des Vaters, der Heimeinweisungen und der Fluchtversuche untersuchen müssen. Das Gericht hätte insoweit alle Erkenntnisquellen wie z. B. die Vernehmung des Betroffenen und der von ihm genannten Zeugen zu nutzen gehabt.

In dem vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidenden Fall kam zudem eine Rehabilitierung wegen groben Missverhältnisses zwischen dem Anlass der Heimeinweisung und der angeordneten Unterbringung in Betracht. Dafür hätte das Kammergericht die damals herrschenden Lebensbedingungen in den Heimen im Rahmen Amtsermittlungspflicht aufklären müssen. Dem stand auch nicht entgegen, dass die Mutter ab dem Jahre 1963 nicht mehr bereit war, den Antragsteller wieder bei sich aufzunehmen. Es in dem Fall nämlich Hinweise darauf gab, dass die fehlende Aufnahmebereitschaft des Kindes durch die Mutter zumindest auch durch die Angst vor Repressalien verursacht worden war oder sich sonst als kausale Folge der zwangsweisen Einweisung mit daran anknüpfender Entfremdung und der Angst darstellte.

Die Annahme des Kammergerichts, dass die gesetzliche Vermutung einer politischen oder sachfremden Einweisungsmotivation im behandelten Fall widerlegt worden sei, verstoße zudem gegen das Willkürverbot. Die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen gehe nur dann zu Lasten des Antragstellers, wenn die gesetzliche Vermutung nicht eingreife. Wenn die Ermittlungen des Gerichts auf fürsorgliche Gesichtspunkte und auf sachfremde bzw. politische Gründe der Einweisung hindeuten, muss feststehen, dass der eine oder der andere Grund ausschlaggebend war. Steht dies nach Ausschöpfung aller möglichen Erkenntnisquellen nicht fest, greift die gesetzliche Vermutung zu Gunsten des ehemaligen Heimkindes. Gegen die Widerlegung der Regelvermutung spreche zudem, wenn der Betroffene „nahezu ausnahmslos in der Umerziehung dienenden, teil geschlossenen Heimen untergebracht war und nicht in regulären, offenen Kinderheimen.“

Der verfassungsrechtliche Verstoß gegen das rechtliche Gehör liege darin, dass das Gericht die Argumentation zu den Ausreisebestrebungen von Vater und Sohn und der alternativen Unterbringung bei seinem Vater in der Bundesrepublik Deutschland als unbeachtlich angesehen habe. Es hätte diesen Vortrag in Betracht ziehen und ihm gegebenenfalls weiter nachgehen müssen. Das Kammergericht muss nun erneut über den Fall entscheiden.

Fundstelle: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 16.06.2021, Az. 108/20

Nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz wird vermutet, dass die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare Einrichtung, in der eine zwangsweise Umerziehung erfolgte, stattfand. Diese Vermutung kann widerlegt werden. Allerdings divergiert die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu den Anforderungen an die Widerlegung dieser gesetzlichen Regelvermutung ganz erheblich.

Das Thüringer Oberlandesgericht in Jena hat nun in dem Beschluss vom 16.11.2020, Az. 1 Ws-Reha 6/17, festgestellt, dass diese Vermutung nicht schon durch die Benennung gängiger, nach der Verordnungslage und der wissenschaftlich belegten Rechtspraxis erwartbarer Anordnungsgründe in der Einweisungsentscheidung widerlegt wird.

Die Widerlegung setzt vielmehr die Feststellung atypischer, über eine Schwererziehbarkeit im vorbeschriebenen Sinne hinausgehender Umstände voraus, die die Maßnahme im konkreten Einzelfall ausnahmsweise nicht als rehabilitierungswürdiges (System-)Unrecht erscheinen lassen.

Das Thüringische Oberlandesgericht begründet das in dem Beschluss unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung wie folgt:

„Nur so lässt sich der mit der Gesetzesfassung begründeten Gefahr begegnen, dass Betroffene, deren Jugendhilfeakten noch vorhanden sind, auf Grundlage einer möglicherweise die tatsächlichen Anordnungsgründe verschleiernden Aktenlage schlechter gestellt werden als die, deren Akten nicht mehr aufgefunden werden können (ohne diese vom Gesetzgeber offenbar in Kauf genommene Konsequenz allerdings gänzlich ausschließen zu können).“

Das Thüringische Oberlandesgericht zieht den Schluss, dass die gesetzliche Vermutung nicht schon dann entkräftet ist, wenn sie durch den Beweis ihrer möglichen Unrichtigkeit nur erschüttert ist. Sie muss vielmehr durch den vollen Beweis ihres Gegenteils widerlegt sein, das Gericht muss also die Überzeugung vom Gegenteil der Vermutung gewinnen.

Fundstelle: Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.11.2020, Az. 1 Ws-Reha 6/17

Das Berliner Institut für Sozialforschung hat die heutige Lebenslage der Opfer von DDR-Unrecht und deren Familienangehöriger in Brandenburg wissenschaftlich erforscht. Die Sozialstudie kommt zu dem Ergebnis, dass die extremen Belastungen und die Ausnahmeerfahrungen den weiteren Lebensverlauf der meisten Betroffenen negativ beeinflusst haben. Das verfügbare Einkommen der Betroffenen stelle sich oft als sehr prekär dar und liege deutlich unter dem Durchschnitt der Bevölkerung im Land Brandenburg. 49 % der Betroffenen verfügen über ein persönliches monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 €.

Die Betroffenen klagen noch heute in 70 % der Fälle über psychische Folgen und in 38 % der Fälle über körperlichen Folgen des erlittenen Unrechts. Häufig treten bei ihnen beispielsweise Schlafstörungen, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen auf.

Die negativen materiellen  Folgen  und die Auswirkungen des Unrechts auf die berufliche Laufbahn wirken bis heute stark nach. Betroffene die für das erlittene Unrecht juristisch rehabilitiert wurden,  schätzen nach den Ergebnissen der Studie  ihren  Gesundheitszustand  als  besser  ein  und sind zufriedener mit der Demokratie in Deutschland. Betroffene von DDR-Unrecht stehen dabei der  demokratischen  Gesellschaft heute ohnehin insgesamt positiver gegenüber als der brandenburgische Bevölkerungsdurchschnitt.

Fundstellen: Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen DiktaturBerliner Institut für Sozialforschung GmbH, „Studie zu aktuellen Lebenslagen von Menschen aus dem Land Brandenburg, die in der SBZ / DDR politisch verfolgt wurden oder Unrecht erlitten und deren mitbetroffenen Familien“

Die vom Bundestag am 24.10.2019 beschlossenen Gesetzesänderungen der Rehabilitierungsgesetze (vgl. Blogartikel vom 27.10.2019: Änderungen in den Rehabilitierungsgesetzen beschlossen), wurden mittlerweile vom Bundespräsidenten ausgefertigt und am 28.11.2019 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Die Gesetzesänderungen traten daher am 29.11.2019 in Kraft.

Fundstelle: Bundesgesetzesblatt, Jahrgang 2019 Teil I Nr. 42 (BGBl. 2019 I 1752)

Der Bundestag hat am 24.10.2019 in dritter Lesung umfangreiche Änderungen an den Rehabilitierungsgesetzen für DDR-Unrecht verabschiedet.

Danach wird eine Vermutung aufgestellt, dass die Unterbringungsanordnung in einem Kinderheim rechtsstaatswidrig war, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare der Zwangsumerziehung dienende Einrichtung stattfand. Dieselbe Vermutung gilt, wenn gleichzeitig mit der Unterbringung der Kinder rechtsstaatswidrige, freiheitsentziehende  Maßnahmen  gegen  die  Eltern oder Elternteile vollstreckt wurden. Es muss ein Sach- und Zeitzusammenhang bestehen.

Die Opferrente wird von 300,00 € monatlich auf 330,00 € erhöht. Die dafür notwendige Haftdauer wird von 180 Tagen auf 90 Tage halbiert! Verfolgte nach dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz erhalten statt 214,00 € monatlich nunmehr 240,00 € (bzw. für Rentner 180,00 € statt wie bisher 153,00 €).

Heimkinder, die wegen der rechtsstaatswidrigen Haft der Eltern ins Heim gekommen sind und nicht rehabilitiert wurden, weil sie nicht selbst verfolgt wurden, bekommen trotz einer negativen Rehabilitierungsentscheidung einen eigenen Anspruch auf die Opferrente (wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen). Sie können nunmehr also direkt die Opferrente beantragen.

Die Antragsfristen werden gestrichen.

Für festgestellte Zersetzungsmaßnahmen, für die bisher keine Ausgleichsleistungen gezahlt wurden, wird eine einmalige Zahlung in Höhe von 1.500,00 € eingeführt.

Fundstelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 24.10.2019

Die Bundesregierung hat -wie bereits berichtet- einen Gesetzesentwurf  zur Änderung der Rehabilitierungsgesetze für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR beschlossen. Danach sollen die Fristen zur Antragsstellung gestrichen und die Beweisführung erleichtert werden (vgl. Blogartikel vom 17.05.2019: „Bundesregierung will Fristen für Rehabilitierungsanträge für DDR-Unrecht streichen“). Aber was hat die Bundesregierung genau geplant? Die Antragsfristen sollen gestrichen werden, derzeit gilt eine Frist zur Antragstellung bis zum 31.12.2019. Das betrifft sowohl Anträge zur strafrechtlichen als auch zur beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung.

Weiterhin soll für den Fall, dass das Gericht nicht feststellen kann, dass die Anordnung eine Heimunterbringung der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, das Gericht diese Tatsache zugunsten des jeweiligen Antragstellers für festgestellt erachten können. In § 10 StrRehaG soll der folgende dritte Absatz eingefügt werden:

„Kann die Tatsache, dass eine Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, nicht festgestellt werden,


1. infolge der Lage, in die der Antragsteller durch die Unterbringung geraten ist,
oder
2. infolge des Umstandes, dass

a) Urkunden verloren gegangen sind,
b) Zeugen verstorben oder unauffindbar sind oder
c) die Vernehmung von Zeugen mit Schwierigkeiten verbunden ist, die in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Aussage stehen,

so kann das Gericht diese Tatsache unter Würdigung aller Umstände zugunsten des Antragstellers für festgestellt erachten.“

Es stellt in den Rehabilitierungsverfahren ein häufiges Problem dar, dass Unterlagen wie z. B. die ursprüngliche Jugendhilfeakte mittlerweile vernichtet wurden oder nicht mehr auffindbar sind. Teilweise werden von den Behörden sogar jetzt noch Unterlagen vernichtet („kassiert“), weil die Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien und nicht in die entsprechende Archive überführt. Diese Änderung könnte daher vielen Betroffenen erheblich weiter helfen, wenn sie denn tatsächlich Gesetzeskraft erlangt.

Für Kinder von politisch Verfolgten Eltern, die ins Heim eingewiesen wurden, bleibt die Ausgangslage für eine Rehabilitierung schwierig (vgl. auch Blogartikel vom 17.06.2018: „War eine DDR-Heimeinweisung eines Kindes rechtsstaatswidrig bei politischer Verfolgung der Eltern?“). Für ehemalige Heimkinder von politisch verfolgten Eltern soll eine neue Regelung in § 18 StrRehaG eingeführt werden, damit die ehemaligen Heimkinder trotz negativer Rehabilitierungsentscheidung Unterstützungsleistungen von der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge erhalten können. Eine selbstständige Rehabilitierung ist für die Betroffenen in dem Entwurf der Bundesregierung (anders als noch im Entwurf des Bundesrats vom 03.11.2017, BR-Drs. 642/17) nicht vorgesehen. Eine Gleichstellung von Kindern, die wegen der politischen Verfolgung der Eltern eine Heimunterbringung in der DDR erleiden mussten, mit anderen rehabilitierten Heimkindern ist also bedauerlicher Weise nicht vorgesehen. Die ehemaligen Heimkinder von politisch verfolgten Eltern hätten danach keinen Anspruch auf eine eigene Rehabilitierung. Sie könnten aber immerhin Unterstützungsleistungen bei der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge beantragen. Die rechtliche Position von ins Heim eingewiesenen Kindern politisch verfolgter Eltern bliebe also schwierig.

Weitere bekannte Schwachstellen der Rehabilitierungsgesetze werden dagegen von der Bundesregierung überhaupt nicht in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Der Bundesrat hat in einer Entschließung vom 19.10.2018 beispielsweise darauf hingewiesen, dass u. a. keine Ausgleichsleistungen für Opfer von Zersetzungsmaßnahmen vorgesehen sind, dass für verfolgte Schüler kaum Leistungen beanspruchen können, Opfer von Zwangsaussiedlungsmaßnahmen nicht ausreichend entschädigt werden,  die Verfolgungszeit für eine berufliche Benachteiligung mit mindestens drei Jahren viel zu lang angesetzt ist. Es bleibt nur zu hoffen, dass im Gesetzgebungsverfahren noch entsprechende Verbesserungen eingefügt werden können.

Fundstellen: Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Informationsseite zum Gesetzgebungsvorhaben vom 15.05.2019; Bundesrat, Gesetzesentwurf vom 03.11.2017, BR-Drs. 642/17; Entschließung vom 19.10.2019, BR-Drs. 316/18

Nach der Pressemitteilung der Bundesregierung vom 15.05.2019 sollen die Fristen für Rehabilitierungsanträge für DDR-Unrecht gestrichen werden. Bislang gilt als letzter möglicher Termin für die Antragstellung der 31.12.2019.

Die Beweisführung bezüglich der Rehabilitierung von DDR-Heimkindern soll erleichtert werden. Es soll insbesondere für ehemalige Heimkinder, die wegen der politischen Verfolgung ihrer Eltern in ein Heim, Spezialheim oder Jugendwerkhof eingewiesen wurden, eine einfachere Regelung zur Rehabilitierung geschaffen werden.

Bereits im Koalitionsvertrag war vereinbart worden, dass die Antragsfristen „im Einvernehmen mit den Bundesländern“ aufgehoben werden sollen und geprüft werden soll, wie die bestehenden rechtlichen Grundlagen der Entschädigung für die Heimkinder verbessert werden können. Es bleibt daher abzuwarten, wie die neue konkrete rechtliche Regelung ausgestaltet sein wird. Bislang hat die Bundesregierung nur einen Gesetzentwurf beschlossen, noch gilt die alte Rechtslage.

Fundstelle: Bundesregierung, Pressemitteilung „Mehr Unterstützung für DDR-Opfer“ vom 15.05.2019

Wie bereits mehrfach berichtet, begegnet die Rehabilitierung von Heimkindern in der DDR oft rechtlichen Schwierigkeiten (vgl. „War eine DDR-Heimeinweisung eines Kindes rechtsstaatswidrig bei politischer Verfolgung der Eltern?“ vom 17.06.2018, „Eine der politischen Repression dienende Heimeinweisung ist rechtsstaatswidrig“ vom 12.11.2017). In der DDR gab es im Wesentlichen drei Typen von Heimen sogenannte Normalkinderheime, Spezialheime und Jugendwerkhöfe. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt in Naumburg war die Einweisung in ein Spezialheim oder in einen Jugendwerkhof im Regelfall rechtsstaatswidrig, wenn der Eingewiesene nicht zuvor durch massive Straffälligkeit aufgefallen ist oder sich gemeingefährlich verhalten hat. Die Einweisung ist dann als unverhältnismäßig zu beurteilen, sie war nicht mehr am Kindswohl orientiert, sondern diente der Umerziehung (vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 26. Oktober 2017, Az. 2 Ws (Reh) 36/17). Das Oberlandesgericht führt in dem Beschluss vom 26.10.2017 aus, dass es aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse überzeugt sei, dass die Erziehung in Spezialheimen der Jugendhilfe maßgeblich darauf ausgerichtet war, die Persönlichkeit der Betroffenen zu brechen, um aus ihnen Persönlichkeiten nach den ideologischen Vorstellungen des SED-Regimes zu formen. Zu diesem Zwecke wurden schwere Menschenrechtsverletzungen planmäßig eingesetzt, weshalb regelmäßig eine Rechtsstaatswidrigkeit bei einer Einweisung in ein Spezialheim (oder einen Jugendwerkhof) angenommen wird.
Andere Rehabilitierungsgerichte sehen diese Rechtsprechung kritisch und prüfen auch bei Einweisungen in einen Jugendwerkhof vor allem die in dem Einweisungsbeschluss wiedergegebenen Gründe auf ihre Rechtsstaatswidrigkeit. Die in den Heimen herrschenden Umstände treten dann bei der Prüfung dagegen in den Hintergrund. Das Brandenburgische Oberlandesgericht prüft dagegen -ähnlich wie das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt- im Rahmen einer Einzelfallprüfung auch, ob die Einweisung gegen das Übermaßverbot wegen der in dem jeweiligen Heim herrschenden Umstände verstieß.
In dem von mir für das ehemalige Heimkind geführten Rehabilitierungsverfahren hatte das Brandenburgische Oberlandesgericht über die Einweisung in ein sogenanntes „Normalkinderheim“ zu entscheiden. Das Oberlandesgericht kam auch in diesem Verfahren zu dem Ergebnis, dass die Einweisung als rechtsstaatwidrig zu beurteilen war, weil ein grobes Missverhältnis zwischen Anlass für die Unterbringungsentscheidung und der angeordneten Rechtsfolge vorlag. Die Einweisung des Jugendhilfeausschusses wurde darauf gestützt, dass bezüglich der häuslichen Ordnung und Sauberkeit in der Familie Defizite bestanden haben sollen und beim Bruder erste Verwahrlosungserscheinungen aufgetreten sein sollen. Die Kinder seien schmutzig und ohne die notwendigen Arbeitsmaterialien in der Schule erschienen. Sie hätten eine ungenügende Arbeitseinstellung gezeigt, keine Hausaufgaben angefertigt und zeitweilig den Unterricht gebummelt. Die Eltern seien keiner geregelten Arbeit nachgegangen, weswegen es zu finanzielle Problemen gekommen sei. Die Betroffene habe sich angeblich durch Lügen und Diebstähle isoliert, ihr Freundeskreis habe sich zudem aus Kindern sozialgefährdeter Familien zusammengesetzt.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat richtiger Weise festgestellt, dass das keine tragfähige Begründung für eine gravierende soziale Gefährdung darstelle, die einen plausiblen Anlass für die Herauslösung der Betroffenen aus dem Elternhaus rechtfertigen könnte. Der Beschluss stehe vielmehr im Einklang mit der in der DDR herrschenden Rechtspraxis, ein anderes Leben als das eines fleißigen und staatsbejahenden Schülers als asozial zu stigmatisieren. Die Heimunterbringung sollte auch nach dem DDR-Recht immer das letzte Mittel sein, was hier erkennbar nicht der Fall war. Die Einweisung stellt daher auch in Anbetracht der damit verbundenen Konsequenzen einen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar und wurde daher zutreffend als rechtsstaatswidrig aufgehoben.

Fundstellen: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21.06.2018, Az. 2 Ws Reha 14/17

Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 2015 entschieden, dass die Heimeinweisung eines Kindes nicht schon deshalb rechtsstaatswidrig war, wenn die Eltern aufgrund politischer Verfolgung inhaftiert wurden und nur aus diesem Grund ein Kind in einem Heim untergebracht wird (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.03.2015, Az. 4 StR 525/13). In einem solchen Fall ist die Einweisung nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs lediglich die Folge einer Inhaftierung, diente aber selbst nicht dazu, das Kind politisch zu verfolgen.

Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war ganz erheblicher Kritik ausgesetzt, einige Bundesländer haben bereits eine Gesetzesinitiative gestartet, das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz entsprechend zu ändern, dass auch Kinder die aufgrund der politischen Inhaftierung der Eltern in ein Heim eingewiesen wurden, selbst zu rehabilitieren sind (vgl. Bundesrat, Drucksache 642/17 vom 03.11.2017). Den Kindern stünden in einem solchen Fall grundsätzlich auch die Haftentschädigung und weitere Leistungen wie die Opferrente zu (vgl. auch den Blogeintrag „Eine der politischen Repression dienende Heimeinweisung ist rechtsstaatswidrig“ vom 12.11.2017).

Allerdings kann auch nach der derzeitigen Rechtslage ein ehemaliges Heimkind wegen der politischen Verfolgung eines Elternteils rehabilitiert werden, wenn es dem ehemaligen Heimkind gelingt den Nachweis zu erbringen, dass die Heimeinweisung als politisches Druckmittel gegen die Eltern eingesetzt wurde. In einem solchen Fall ist auch die Heimeinweisung des Kindes für rechtsstaatswidrig zu erklären, denn diese war nicht von fürsorglichen Motiven sondern (auch) von politischen getragen. Der Bundesgerichtshof hatte in dem oben genannten Beschluss auch ausdrücklich festgestellt, dass es unerheblich sei, ob sich der mit der Heimeinweisung verfolgte Verfolgungszweck gegen die unterzubringende Person selbst oder Dritte richtete. Auch die zur politischen Disziplinierung von Eltern oder Verwandten angeordnete Heimunterbringung stellt sich als politische Verfolgung im Sinne des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes dar (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.03.2015, Az. 4 StR 525/13).

Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat in einem von mir für den Betroffenen geführten Verfahren daher auch entschieden, dass der Heimaufenthalt meines Mandanten ab dem nachgewiesenen Zeitpunkt der politischen Verfolgung der Mutter für rechtsstaatswidrig zu erklären ist (vgl. Brandenburgisches OberlandesgerichtBeschluss vom 07.11.2017, Az. 2 Ws (Reha) 13/16).

Der Antragsteller war bereits kurz nach der Geburt in ein Heim gekommen. Seine Mutter war wenig später nach Westdeutschland gegangen, nachdem sie wegen gewerbsmäßiger Unzucht, Einfuhr von Zahlungsmitteln und Landstreicherei verurteilt worden war. Der Antragsteller wurde in ein Heim eingewiesen, die Jugendhilfe übernahm die Vormundschaft. Er verbachte seine Kindheit in unterschiedlichen Heimen sowie zeitweilig in einer Bezirksnervenklinik.

Der Versuch der Mutter im Jahr 1960 wieder in die DDR zu gelangen, scheiterte daran, dass die Mutter von der DDR nicht wieder aufgenommen und stattdessen in den Westen ausgewiesen wurde. Das Oberlandesgericht sah es trotz einiger, darauf hindeutender Indizien als nicht ausreichend erwiesen an, dass die Mutter wegen ihrer fehlenden Bereitschaft, mit der Staatssicherheit zu kooperieren, ausgewiesen wurde. Das Oberlandesgericht war nicht überzeugt davon, dass bereits zu diesem Zeitpunkt der in einem Heim befindliche Sohn als Druckmittel eingesetzt wurde.

Allerdings ließ sich in dem Rehabilitierungsverfahren nachweisen, dass der betroffene Sohn bei dem erneuten Einreiseversuch der Mutter im Jahr 1968 sehr wohl als Druckmittel der Stasi gegen die Mutter eingesetzt wurde, diese zu einer Mitarbeit bei der Stasi zu nötigen. Die Mutter ging dieses Mal darauf ein, für die Stasi zu arbeiten. Sie erhoffte sich damit, dass ihr die DDR die Möglichkeit einräume, wieder bei ihrem Sohn zu sein und für diesen in der Zukunft sorgen zu können. Die Mutter willigte damals ein, zunächst in Westberlin für die Stasi als Spion zu arbeiten. Allerdings wurde sie dort von der Westberliner Polizei unter dem Verdacht des Führens landesverräterischer Beziehungen kurzzeitig festgenommen und verhört. In dem Verhör der Westberliner Polizei gestand sie, dass sie für die Stasi tätig war und wurde im Anschluss aus der Untersuchungshaft unter Auflagen entlassen. Sofort flüchtete sie zurück in die DDR und wurde in einem Aufnahmelager untergebracht. Jetzt konnte sie endlich in der Nähe ihres Sohnes sein, den sie in der Bezirksnervenklinik besuchen konnte. Das Glück des Wiedersehens währte allerdings nur kurz, als die Stasi herausfand, dass die Mutter nicht nur festgenommen und verhört worden war, sondern auch gegenüber der (West-)Berliner Polizei gestanden hatte, für die Stasi zu arbeiten. Diese Dekonspiration gegenüber dem Klassenfeind wurde der Mutter des Betroffenen nicht verziehen. Aufgrund dieses von der Stasi als Verrat gewerteten Verhaltens der Mutter wurde diese umgehend aus der DDR wieder in den Westen abgeschoben und der betroffene Sohn musste bis zu seiner Volljährigkeit im Heim bleiben.

Das Oberlandesgericht hat in dem Beschluss vom 07.11.2017 richtiger Weise festgestellt, dass das Fortdauern der Heimunterbringung des Sohnes seit der Rückkehr der Mutter in die DDR im Jahr 1968 der politischen Verfolgung gedient hat. Die Heimunterbringung war daher aufzuheben und mein Mandant für diesen Zeitraum zu rehabilitieren. Denn die Heimunterbringung war das Mittel, die Mutter zur Zusammenarbeit mit der Stasi zu bewegen. Die Unterbringung des Betroffenen zielte daher auch darauf ab, eine politisch intendierte Benachteiligung herbeizuführen. Unerheblich ist dabei nach der Auffassung des Oberlandesgerichts, ob sich der mit der Heimfortdauer verfolgte Zweck gegen die untergebrachte Person selbst oder gegen Dritte richtete. Eine Heimunterbringung ist nämlich auch dann als rechtsstaatswidrig anzusehen, wenn sie sich gegen Eltern oder Verwandte richtete.

Fundstellen: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 07.11.2017, Az. 2 Ws (Reha) 13/16

Der Fond „Heimerziehung in der DDR“ wird von ursprünglich 40 Millionen auf 200 Millionen Euro aufgestockt, wie das Bundeskabinett am 09.07.2014 zusammen mit den ostdeutschen Bundesländern beschlossen hat. Betroffene ehemalige Heimkinder erhalten Unterstützung aus dem Fond für erlittenes Unrecht und Leid in den DDR-Heimen.  Aus dem Fond kann für die Traumatisierungen, Beeinträchtigungen und Folgeschäden Hilfe gewährt werden. Benachteiligungen in der Rentenversicherung können beispielsweise ausgeglichen werden. Ehemalige Heimkinder sollen zudem bei der Aufarbeitung unterstützt werden. Die Forderungen ehemaliger Heimkinder müssen allerdings bis zum 30.09.2014 angemeldet werden. Neben dem Hilfefond besteht für ehemalige DDR-Heimkinder in geeigneten Fällen auch die Möglichkeit die Heimeinweisung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz für rechtsstaatswidrig erklären zu lassen.

Fundstellen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Pressemitteilung vom 09.07.2014

Die Parteien CDU/CSU und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Gremien der CDU und CSU haben dem Vertrag bereits zugestimmt, das Ergebnis der Mitgliederbefragung der SPD wird in wenigen Tagen vorliegen, es ist also an der Zeit sich den Vertrag einmal genauer anzuschauen. Einige Teile der Übereinkunft werde ich hier in einigen Blog-Beiträgen vorstellen.

Für Opfer von Unrecht in der DDR gibt es eine positive Nachricht, die Parteien haben sich auf eine Steigerung der Opferrente geeinigt. Wie hoch diese ausfallen soll, lässt sich dem Vertrag jedoch nicht entnehmen. Opfer von DDR-Unrecht haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen (vgl. hierzu Rehabilitierung). Dringend benötigte Beweiserleichterung für die Wiedergutmachungssuchenden sieht der Koalitionsvertrag leider nicht vor. Auch gibt es keine Regelung zur Archivierung und zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der DDR-Strafakten bzw. der Unterlagen aus den Kinderheimen der DDR. Eine derartige Vereinbarung findet sich nur hinsichtlich der Frauenbewegung in der DDR und der Erhaltung des Archivs der DDR-Opposition. Zudem stellen die Parteien kurioser Weise in dem Koalitionsvertrag fest, dass es enorme Wissensdefizite bei Jugendlichen über die beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert gebe. Für Opfer der DDR-Justiz, die haftbedingte Gesundheitsschäden erlitten haben, soll zudem die die medizinische Begutachtung verbessert werden. Etwas konkretere Vorgaben hätte man sich im Hinblick auf die Aufarbeitung und Rehabilitierung von DDR-Unrecht im Koalitionsvertrag dann doch gewünscht.

Fundstelle: Koalitionsvertrag zwischen den Parteien CDU/CSU und SPD

Die ostdeutschen Bundesländer und der Bund stellen einen Hilfe-Fond  für Heimkinder aus der ehemaligen DDR mit einem Umfang von 40 Millionen Euro zur Verfügung. Der Zweck des Fonds ist die Förderung der Hilfe für ehemalige Heimkinder in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990. Anträge können seit dem 01.07.2012 gestellt werden. Es sollen vor allem verschiedene individuelle Reha-Maßnahmen und Unterstützungshilfen für ehemalige Heimkinder finanziert werden, die in der ehemaligen DDR unter Zwang, Gewalt und Missbrauch gelitten haben. Durch den Fond soll zudem einer Minderung von Rentenansprüchen der Opfer entgegengewirkt werden. Für die Antragstellung gilt eine Frist bis zum 30. Juni 2016. Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass es sein könnte, dass die zur Verfügung gestellten Mittel bereits vorher aufgebraucht sind, dann endet der Fond laut Satzung automatisch. Die erlittenen Schädigungen durch Heimunterbringung müssen vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden.

Fundstellen: Bundesregierung,  Nachricht vom 13.06.2012; Fond „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990”, Satzung vom 24.04.2012

Laut Presserklärung des Verwaltungsgerichts Berlin besteht ein Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) auch für Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 01.12.2011, Az. VG 2 K 91.11 entschieden, es gab damit der Klage auf Auskunft über die im November 2009 erstellte Ausarbeitung „Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der Resolution A/33/426 der Vereinten Nationen zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestrischen Lebensformen“ des Wissenschaftlichen Dienstes statt. Das begründete das Verwaltungsgericht Berlin damit, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages lediglich der Vermittlung von Wissen und Information diene, er selbst verrichte aber keine parlamentarische Arbeit. Der wissenschaftliche Dienst stellt somit eine Behörde im Sinne des IFGs dar und muss daher auch Auskünfte erteilen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Verwaltungsgericht die Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen.

Fundstellen: Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 01.12.2011, Az. VG 2 K 91.11; Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 01.12.2011; Vorbericht mit allgemeinen Informationen zum IFG

Wie berichtet, sind noch mindestens 13 Richter in Brandenburg tätig, die früher mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zusammengearbeitet haben. In meinem Blogeintrag vom 04.11.2011 hatte ich meine Befürchtungen bereits angedeutet, dass insoweit ein Zusammenhang mit der restriktiven Rechtsprechung der Gerichte zur Aufhebung von rechtsstaatswidrigen DDR-Gerichtsurteilen (Rehabilitierung) bestehen könnte. Jetzt hat der Justizminister Brandenburgs, Herr Volkmar Schöneburg, nach Medienberichten eingeräumt, „dass seit 1990 sechs von insgesamt 13 belasteten Richtern Prozesse geleitet haben, in denen es um die Rehabilitierung von DDR-Unrechtsopfern und die Rückgabe von Vermögen ging.“ Das OVG Berlin-Brandenburg hatte mit Beschluss vom 28. Oktober 2011, Az. 10 S 33.11, im einstweiligen Rechtsschutz entschieden, dass die Identitäten der Richter (noch) nicht offen gelegt werden müssen.

Fundstellen: Bericht in der Zeitung Potsdamer Neueste Nachrichten vom 16.12.2011, Blogeintrag vom 04.11.2011, Allgemeine Informationen zum Strafrechtsrehabilitierungsgesetz

Laut dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG) vom 28.10.2011, Az. OVG 10 S 33.11, besteht zumindest im einstweiligen Rechtsschutz kein Anspruch auf Auskunft über die Identität von Richtern und Staatsanwälten, die früher mit der Staatssicherheit der DDR zusammengearbeitet haben. Der Chefreporter einer überregionale Zeitung hatte Auskunft über 13 Richter und einen Staatsanwalt beim Justizministerium von Brandenburg verlangt, um Hinweisen über deren Verstrickung mit dem Geheimdienst der DDR nachzugehen. Die Zeitung habe keinen Anspruch auf Offenlegung der Identität der betroffenen Richter und Staatsanwälte, entschied nun das OVG. Es bestehe nur ein Anspruch auf Mitteilung von dem gegenwärtigen Einsatzort der Richter und des Staatsanwalts, soweit dabei deren Anonymität gewahrt bleibe. Der Anspruch läuft daher auch insoweit weitgehend leer.  In Brandenburg gibt es nach Angaben des Ministeriums 152 vorbelastete Justizmitarbeiter, neben 12 Mitarbeitern bei der Staatsanwaltschaft (darunter einem Staatsanwalt) und 76 Bediensteten bei weiteren Behörden befinden sich 64 Mitarbeiter bei Gerichten (darunter 13 Richter). Bei denen es sich um ehemalige haupt- oder nebenberuflichen Mitarbeitern des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit handelt. Zu betroffenen Rechtsanwälten liegen laut Ministerium keine Daten vor. Der Beschluss des OVG Berlin-Brandenburgs erging im einstweiligen Rechtsschutz, dabei wird der Anspruch nicht abschließend geprüft, es erfolgt vielmehr eine Güterabwägung, wobei auch die Frage der Vorwegnahme der Hauptsache eine Rolle spielt. Daher ist keine Vorentscheidung für das Hauptsacheverfahren gefallen, dennoch gibt der Beschluss Anlass auf die Studie von Jörg Siegmund von der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 11. Februar 2011 zur Fragestellung hinsichtlich „Brandenburgs Umgang mit ehemals politisch Verfolgten und Benachteiligten im Vergleich mit den anderen neuen Ländern“ hinzuweisen. Die Studie kommt in ihrem Fazit unter Punkt 3 zu dem folgenden Schluss:  „Die quantitative Auswertung zum Stand der Wiedergutmachung hat ergeben, dass die Anerkennungs- und Bewilligungsquoten in Brandenburg bei der verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierung, der sogenannten Opferrente und der Versorgung der Gesundheitsschäden teilweise deutlich unter den entsprechenden Quoten der anderen neuen Länder liegen. Die Gründe für diese aus Sicht der Betroffenen sehr unbefriedigende Situation sollten zwischen der zuständigen Verwaltung, den Verfolgtenverbänden und der Aufarbeitungsbeauftragten intensiv erörtert werden, um mehr Transparenz und gegebenenfalls eine Verbesserung für die Betroffenen zu erreichen.“ Allgemeine Informationen zum Rehabilitierungsverfahren finden Sie hier.

Fundstellen: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2011, Az. OVG 10 S 33.11, Pressemittelung vom 03.11.2011; Antwort der Landesregierung Brandenburg auf die Kleine Anfrage 1201 vom 13.04.2011; Mitteilung des Justizministeriums Brandenburg vom 04.05.2011; Studie „Brandenburgs Umgang mit ehemals politisch Verfolgten und Benachteiligten im Vergleich mit den anderen neuen Ländern“ von Jörg Siegmund, Ludwig-Maximilians-Universität München, 11. Februar 2011  

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